Sturm ueber roten Wassern
Sie nicht wollen, dass wir tot umkippen, sollten Sie eine frühe Mittagspause einlegen.«
»Grundgütige Götter! Findet der fesche junge Herr etwa keinen Gefallen an der Arbeit?« Caldris saß im Bug, die Beine in Richtung des Mastes ausgestreckt. Auf seinem Bauch hatte sich das Kätzchen zu einer schwarzen, pelzigen Kugel zusammengerollt und schlief den Schlaf der Gerechten. »Der Erste Maat hier will, dass ich euch daran erinnere, was euch blüht, wenn ihr auf hoher See seid. Auf euch wartet keine Vergnügungsreise. Es kann gut sein, dass ihr zwanzig Stunden lang ununterbrochen im Einsatz seid. Es können auch vierzig Stunden werden. Ihr werdet an Deck arbeiten, oder auch die Pumpen bedienen.
Wenn irgendetwas getan werden muss, dann seid ihr dran, komme, was da wolle.
Dann schuftet ihr bis zum Umfallen. Deshalb müsst ihr jeden Tag pullen, und wenn es euch das Kreuz bricht, bis ihr eure Erwartungen so heruntergeschraubt habt, dass sie halbwegs realistisch sind. Und heute gibt es ein spätes Mittagessen, kein frühes. Hart backbord!«
6
»Ausgezeichnete Arbeit, Meister Kosta. Faszinierend und absolut ungewöhnlich. Nach Ihren Berechnungen befinden wir uns irgendwo in den Breiten des Königreichs der Sieben Ströme. Für Vintila ist es ein bisschen zu heiß, finden Sie nicht auch?« Locke nahm den Peilstock, eine vier Fuß lange Stange mit einer unhandlichen Anordnung von Flügeln und Zirkeln am vorderen Ende, von seiner Schulter und seufzte.
»Sehen Sie denn nicht den Sonnenschatten am Kimmflügel?« »Doch, aber …« »Ich gebe zu, diese Vorrichtung ist nicht so präzise wie ein Pfeilschuss, aber selbst eine Landratte sollte damit umgehen können. Machen Sie es noch einmal, so wie ich es Ihnen gezeigt habe. Kimm und Sonnenschatten. Seien Sie froh, dass Sie einen Verrari-Quadranten benutzen; bei den alten Gradstöcken musste man direkt in die Sonne sehen.«
»Entschuldigung«, warf Jean ein, »aber bis jetzt war mir dieses Gerät zur Sonnenhöhenmessung nur unter der Bezeichnung Camorri-Quadrant …« »Blödsinn!«, schnitt Caldris ihm das Wort ab. »Das hier ist ein Verrari-Quadrant. Die Verrari erfanden ihn, vor ungefähr zwanzig Jahren.«
»Dieser Triumph«, meinte Locke, »muss euch ja richtig gutgetan haben, nachdem man euch im Tausend-Tage-Krieg so derbe den Arsch versohlt hat, wie?« »Haben Sie was für die Camorri übrig, Kosta?« Caldris legte eine Hand an den Peilstock. Erschrocken merkte Locke, dass sein Groll nicht gespielt war. »Ich dachte, Sie seien Talishani. Haben Sie einen Grund, sich so für das Scheiß-Camorr einzusetzen?« »Nein, ich dachte nur …« »Was dachten Sie?«
»Tut mir leid.« Locke erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte. »Offen gestanden habe ich das Erstbeste gesagt, was mir einfiel. Ich habe überhaupt nicht nachgedacht. Sie haben in diesem Krieg gekämpft, nicht wahr?«
»Und ob. Jeden einzelnen dieser Tausend Tage war ich dabei«, versetzte Caldris. »Verzeihen Sie mir. Ich vermute, dass Sie in den Kämpfen Freunde verloren haben.« »Sie vermuten verdammt richtig.« Caldris schnaubte durch die Nase. »Eines der Schiffe, auf denen ich fuhr, ging unter. Ich hatte Glück, nicht von Teufelsfischen gefressen zu werden. Das waren schlimme Zeiten damals.« Er nahm die Hand von Lockes Peilstock und fasste sich wieder. »Ich weiß, dass Sie es nicht böse gemeint haben, Kosta. Tut mir leid, wenn ich Sie so angeblafft habe. Diejenigen von uns, die in diesem Krieg ihre Knochen riskierten, glaubten nicht, dass wir ihn verlieren würden, als die Priori kapitulierten. Das war mit ein Grund, weshalb wir so große Hoffnungen auf den ersten Archonten gesetzt haben.«
»Leocanto und ich haben keinen Grund, Camorr zu lieben«, mischte sich Jean ein. »Das ist gut.« Caldris klopfte Locke auf den Rücken und schien sich wieder zu entspannen. »Das ist sogar sehr gut. Und dabei soll es auch bleiben, nicht wahr? Also! Wir sind durch einen Sturm vom Kurs abgekommen, Meister Kosta! Bestimmen Sie unsere geographische Breite!«
Es war der vierte Tag ihrer Ausbildung durch den Verrari-Segelmeister; nach der üblichen morgendlichen Tortur an den Riemen hatte Caldris sie zur seewärtigen Seite der Silber-Marina gebracht. Ungefähr fünfhundert Yards vor der gläsernen Insel, aber noch innerhalb der ruhigen Zone, die von den die Stadt umgebenden Riffen geschützt wurde, befand sich im vierzig oder fünfzig Fuß tiefen, klaren Wasser eine flache Steinplattform. Caldris hatte
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