Sturm ueber roten Wassern
Dunkeln tappen.
Ich wollte nur diese lästigen Stühle loswerden und Sie wissen lassen, dass wir für eine Weile verreisen. Aber Sie können fest damit rechnen, dass ich zurückkomme. Wenn es in meiner Macht steht, dann bin ich spätestens in zwei Monaten wieder hier.«
»Das sind ja sehr feierliche Versprechungen, die Sie da abgeben, Leocanto«, erwiderte Requin gedehnt.
»Wenn ich einfach abhauen wollte«, versetzte Locke, »dann hätte ich längst das Weite gesucht. Ohne vorher zu Ihnen zu kommen und Ihnen alles zu erzählen.«
»Wieso nicht?« Requin lächelte milde. »Die Vorteile Ihrer ›Offenheit‹ liegen doch klar auf der Hand. Wenn es sich um eine List handelt, dann verschaffen Sie sich einen Vorsprung von zwei Monaten, weil ich während dieser Zeit nicht auf den Gedanken käme, Sie suchen zu lassen.«
»Ah. Ein gutes Argument«, räumte Locke ein. »Nur dass ich in ungefähr zwei Monaten anfange, langsam zu krepieren, ob ich nun einen Vorsprung habe oder nicht.«
»Sie behaupten, dass der Archont Ihnen dieses langsam wirkende Gift verabreicht hat.
Den Beweis dafür sind Sie mir schuldig geblieben.«
»Hören Sie, Ihretwegen hintergehe ich den Archonten von Tal Verrar. Ich verrate den bei allen Göttern verdammten Jerome de Ferra. Wenn ich aus dieser Scheiße heil rauskommen will, brauche ich Verbündete. Es ist mir egal, ob Sie beide mir vertrauen oder nicht – ich muss mich auf Sie verlassen. Ich zeige Ihnen, was ich in der Hand habe, ich decke sozusagen meine Karten auf. Kein Bluff, kein gar nichts. Und jetzt erklären Sie mir bitte, wie wir weiter vorgehen sollen.«
Lässig schob Requin die Pergamentseiten auf seinem Schreibtisch zusammen, dann begegnete er Lockes Blick. »Von Ihnen erwarte ich, dass Sie mir unverzüglich mitteilen, was der Archont mit Ihnen vorhat. Keine Verzögerungen. Lassen Sie mich noch ein einziges Mal über Ihren Verbleib im Ungewissen, und Sie lernen mich kennen! Dann gibt es kein Erbarmen mehr.«
»Ich verstehe.« Locke schluckte heftig und rang die Hände. »Bevor wir aufbrechen, sehen wir den Archonten bestimmt noch mal. Wann auch immer dieses Treffen stattfindet, ich bin noch am selben Abend bei Ihnen.«
»Gut.« Requin deutete in Richtung des Fahrstuhls. »Gehen Sie jetzt. Finden Sie diesen Calo Callas, sofern es ihn gibt, und bringen Sie ihn zu mir. Aber ich will auf gar keinen Fall, dass der brave Jerome über Bord geht, während Sie draußen auf See sind. Ist das klar? Erst wenn ich Stragos in der Hand habe, gestatte ich Ihnen – vielleicht –, dass Sie Ihre Rachegelüste ausleben.«
»Ich …«
»Meister de Ferra darf kein ›Unfall‹ zustoßen. Ich bestimme, wann der Zeitpunkt gekommen ist, sich seiner zu entledigen. Das ist Bestandteil unserer Abmachung.«
»Natürlich, wenn Sie so großen Wert darauf legen …«
»Stragos befindet sich im Besitz des Gegengiftes, das er Jerome versprochen hat.«
Requin nahm eine Schreibfeder in die Hand und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Pergamenten zu. »Ich verlange gleichfalls eine Garantie dafür, dass Sie in meine schöne Stadt zurückkehren. Bevor Sie Ihr Kalb schlachten, sollten Sie es ein paar Monate lang hätscheln. Geben Sie gut auf Ihr Opfer acht.« »Ja … sicher.«
»Selendri bringt Sie hinaus.«
5
»Ehrlich, es hätte viel schlimmer kommen können«, meinte Jean, als er und Locke sich am nächsten Vormittag in die Riemen legten. Sie waren draußen im Haupthafen und flitzten über die sanfte Dünung in der Nähe des Kaufmannsbogens. Die Sonne hatte den Mittagshöchststand noch nicht erreicht, doch es war jetzt schon wärmer als am Tag zuvor. Die beiden Diebe waren in Schweiß gebadet.
»Ein plötzlicher elender Tod wäre in der Tat viel schlimmer gewesen«, stimmte Locke zu. Er unterdrückte ein Stöhnen; heute taten ihm beim Pullen nicht nur der Rücken und die Schultern weh, auch die alten Wunden, die einen großen Teil seines linken Arms bedeckten, meldeten sich. »Aber ich denke, dass Requin mit seiner Geduld so ziemlich am Ende ist. Noch mehr Ungereimtheiten oder Komplikationen wird er sich nicht gefallen lassen … wir sollten hoffen, dass Stragos’ Pläne nicht noch bizarrer werden.«
»Das Boot wird nicht dadurch vorangetrieben, dass ihr eure Mäuler auf und zu klappt!«, brüllte Caldris.
»Wir unterhalten uns, wie es uns passt«, rief Locke zurück. »Wenn Sie das unterbinden wollen, müssen Sie uns schon an die Riemen anketten und eine Trommel schlagen!
Und falls
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