Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
sich zum Stolperstein entwickeln, der seine Maskerade auffliegen ließ.
    »Verdammt«, murmelte er Jean zu. »Vor zehn Jahren wäre ich vielleicht blöd genug gewesen, um mir einzubilden, das könnte einfach werden.«
    »Es wird schwer«, erwiderte Jean und drückte Lockes unversehrte Schulter. »Aber uns bleibt ja noch ein bisschen Zeit, zu lernen.«
    In dem lauen Nieselregen schritten sie das Schiff der vollen Länge nach ab, wobei Caldris sie abwechselnd auf bestimmte Dinge aufmerksam machte und Antworten auf komplizierte Fragen verlangte. Sie beendeten ihren Rundgang in der Kühl, und Caldris lehnte sich zum Ausruhen gegen das umgestülpte Boot.
    »Nun ja«, begann er, »für Landratten habt ihr eine ziemlich gute Auffassungsgabe, das muss ich euch zugestehen. Nichtsdestotrotz habe ich schon Schiffsjungen an Bord gehabt, die mehr von Nautik verstanden als ihr zwei zusammen.«
    »Kommen Sie einmal mit uns an Land, und lassen Sie sich die Grundzüge unseres Berufs beibringen, Sie Ziegengesicht!«
    »Ha! Meister de Ferra, Sie werden sich wunderbar in die Bordgemeinschaft einfügen.
    Vielleicht lernen Sie nie den Unterschied zwischen einem Scheißhaufen und einem Stagsegel, aber Sie haben das Zeug zu einem großartigen Ersten Maat. Und jetzt aufentern! Heute früh steigen wir die Großrah hinauf, solange sich das schöne Wetter hält.«
    »Die Großrah?« Locke starrte den Großmast hinauf, der sich irgendwo in den grauen Nebelschwaden verlor, und blinzelte, als es ihm direkt in die Augen regnete. »Aber es gießt doch!«
    »Es soll vorkommen, dass es auch auf See schüttet. Oder habt ihr noch nie davon gehört?« Caldris trat an die Steuerbordwanten, die zur seitlichen Verspannung des Großmastes dienten; sie verliefen an der Außenseite der Reling und waren mit Jungfernblöcken am Rumpf befestigt. Ächzend stemmte sich der Segelmeister auf die Reling und gab Locke und Jean einen Wink, ihm zu folgen. »Die armen Schweine eurer Besatzung müssen in jedem Wetter in die Wanten. Ich steche nicht mit euch in See, wenn ihr es nicht selbst ausprobiert habt. Also setzt eure Ärsche in Bewegung und mir nach!«
    Im strömenden Regen kletterten sie Caldris hinterher, vorsichtig auf die Webeleinen tretend, die leiterartigen Querleinen zwischen den Wanten, die als Trittsprossen dienten. Locke musste zugeben, dass das fast zweiwöchige harte Training ihn auf eine Aufgabe wie diese gut vorbereitet hatte, und selbst seine alten Wunden schmerzten nicht mehr so stark wie früher. Doch das Klettern auf diesen seltsamen, nachgiebigen Leinen war ihm nicht vertraut, und er war froh, als über ihnen eine dunkle Rahnock aus dem grauen Dunst auftauchte. Sekunden später hievte er sich erleichtert zu Jean und Caldris auf eine kreisrunde Plattform, die, den Göttern sei Dank, einen festen Halt bot.
    »Wir sind jetzt ungefähr zwei Drittel des Mastes hochgeklettert«, erklärte Caldris.
    »Diese Rahnock trägt das Großsegel. Weiter oben sind die Marssegel und die Bramsegel. Aber das genügt fürs Erste. Götter, wenn ihr glaubt, heute hättet ihr schlechtes Wetter erwischt, könnt ihr euch dann vorstellen, hier raufzukommen, während das Schiff bockt und stampft wie ein Bulle, der gerade eine Kuh bespringt? Ha!«
    »Das kann auch nicht schlimmer sein«, raunte Jean Locke zu, »als wenn irgendein Blödmann hier oben den Halt verliert und auf einem von uns landet.«
    »Erwartet man von uns, dass wir oft in die Wanten gehen?«, fragte Locke.
    »Habt ihr vielleicht ungewöhnlich scharfe Augen?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Zur Hölle, dann seid ihr hier oben zu nichts nütze. Der Platz des Kapitäns ist an Deck.
    Sie werden die Dinge aus der Ferne beobachten, mithilfe eines Sehrohrs. Oben in der Mastspitze wird irgendein Ausguckposten dann seine Augen aufsperren und die Kimm absuchen.«
    Ein paar Minuten lang betrachteten sie das Schiff von oben, dann grollte in der Nähe ein Donner, und der Regen verstärkte sich.
    »Ich denke, wir entern wieder ab.« Caldris stand auf und schickte sich an, über die Seite der Plattform zu rutschen. »Man muss die Götter ja nicht unbedingt herausfordern.«
    Locke und Jean kletterten problemlos nach unten, doch als Caldris aus den Wanten an Deck sprang, ging sein Atem stoßweise. Er stöhnte und massierte sich den linken Oberarm. »Verflucht. Ich bin zu alt für den Masttopp. Den Göttern sei Dank, ist der Platz des Segelmeisters ebenfalls an Deck.« Krachende Donnerschläge untermalten seine Worte. »Kommt mit.

Weitere Kostenlose Bücher