Sturm ueber roten Wassern
Tag der Buße ist es nur ein Tau, das auf Deck liegt; nach der dritten Nachmittagsstunde des Mußetags ist es eine Trosse, die aus Kabelgarn und im Kabelschlag gefertigt ist, und um Mitternacht am Tag des Thrones wird es wieder ein Tau, es sei denn, es regnet.« »Richtig, denn wenn es regnet, reißt man sich die Kleider vom Leib und tanzt nackt um den Besanmast. Bei den Göttern! Ich schwöre dir, Je … Jerome, der Nächste, der mir etwas in der Art sagt wie: ›Hart über das beschissene Ruder, fiert die verdammten Stagsegelschoten!‹ kriegt von mir ein Messer in den Hals. Selbst wenn es Caldris ist. Keine nautischen Begriffe mehr heute Nacht.«
»Bei den Göttern, dich hat’s aber schwer erwischt. Jetzt liegst du richtig im Fahrwasser!«
»Oh, gerade hast du dein eigenes Todesurteil gesprochen, Vierauge!« Locke spähte in die Flasche wie ein Falke, der eine Maus auf einem tief unter ihm liegenden Feld anvisiert. »Um mich halbwegs wieder zu beruhigen, muss ich noch eine Menge von diesem Zeug in mich hineinkippen. Hol dir ein Glas, und trink mit mir. Ich möchte so bald wie möglich voll sein wie eine Tümpelkröte und mich fürchterlich blamieren.« Es gab einen kleinen Tumult an der Tür, danach brachen die lockeren Gespräche abrupt ab, um durch ein sich stetig steigendes Gemurmel abgelöst zu werden, das Jean aus langer Erfahrung als Vorzeichen einer unmittelbar drohenden Gefahr erkannte. Argwöhnisch blickte er hoch und sah, dass ein Trupp von einem halben Dutzend Männern soeben die Taverne betreten hatte. Zwei trugen unter ihren Mänteln Uniformteile von Konstablern, ohne die übliche Panzerung oder Bewaffnung. Ihre Gefährten trugen zivile Kleidung, doch ihre massige Gestalt und ihr Auftreten verrieten Jean, dass sie alle Prachtexemplare der Spezies waren, die man gemeinhin als Stadtwache bezeichnete.
Einer von ihnen, der entweder keine Furcht kannte oder so sensibel war wie ein Felsbrocken, pflanzte sich vor dem Tresen auf und brüllte nach der Bedienung. Seine Kumpane, die wohl klüger und demzufolge nervöser waren, begannen miteinander zu flüstern. Alle Augen in der Taverne richteten sich auf die Gruppe. Ein scharrendes Geräusch ertönte, als eine hartgesotten aussehende Frau von einem der Offizierstische ihren Stuhl zurückschob und langsam aufstand. Binnen weniger Sekunden stellten sich sämtliche ihrer Kameraden, ob in Uniform oder Zivil, neben ihr auf. Diese Reaktion setzte sich wie eine Welle durch die Schankstube fort; zuerst erhoben sich die anderen Offiziere und zeigten Schulterschluss mit den Standesgenossen, dann folgten die gemeinen Matrosen, sobald sie merkten, dass sie den neuen Gästen gegenüber acht zu eins in der Überzahl waren. Bald standen vier Dutzend Männer und Frauen auf den Beinen, und ohne ein Wort zu sprechen, starrten sie die sechs Männer an der Tür an. Das kleine Grüppchen von Außenseitern um Locke und Jean blieb wie angewurzelt sitzen; wenn es tatsächlich zu einem Kampf kam, wären die hintersten Plätze auf jeden Fall die sichersten.
»Meine Herren«, hob der älteste der Kellner an, während seine beiden jüngeren Schankgehilfen verstohlen unter den Tresen fassten, wo sie vermutlich Waffen lagerten. »Sie haben ja einen ziemlich weiten Weg hinter sich, nicht wahr? Oder haben Sie sich vielleicht verlaufen?«
»Was soll das heißen?« Wenn der Konstabler am Tresen diese Anspielung wirklich nicht begriff, dann musste er dümmer sein als ein Regenwurm, dachte Jean. »Wir kommen von der Goldenen Treppe, das ist doch nicht weit. Gerade ist unser Dienst zu Ende. Wir haben Durst und das nötige Geld, um ihn zu stillen.«
»Eine andere Taverne wäre vielleicht eher nach Ihrem Geschmack«, fuhr der Keller fort.
»Was?« Jetzt erst schien der Kerl zu bemerken, dass er von einem sich zusammenrottenden Mob fixiert wurde. Es ist überall dasselbe, dachte Jean, auch hier gibt es solche und solche Stadtwachen – einige wittern buchstäblich eine Gefahr, die sich hinter ihrem Rücken zusammenbraut, und andere sind so begriffsstutzig, dass sie einem schon fast leidtun können.
»Ich sagte …«, begann der Kellner, der sichtlich die Geduld verlor.
»Halt!«, fiel der Konstabler ihm ins Wort. Er hob beide Hände und wandte sich den übrigen Gästen der Taverne zu. »Ich weiß schon, was los ist. Ich habe mir heute Abend schon ein paar Gläser genehmigt. Ihr müsst mir verzeihen, ich wollte nicht unfreundlich sein. Sind wir nicht alle Verrari? Wir möchten nur was
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