Sturm ueber roten Wassern
bekommen weder Proviant noch Trinkwasser. Sie steigen in das Beiboot, so wie sie jetzt sind. Soll Iono sie zu sich holen, wenn und wann immer er will. Was sagt ihr dazu?«
Die Antwort war ein Ausbruch begeisterter Zustimmung. Selbst Mazucca gab nach und nickte.
»Das bedeutet, dass wir nur ein bisschen länger schwimmen werden«, kommentierte Locke.
»Na ja«, wisperte Jean, »zumindest dazu hast du sie überredet.«
7
Das Beiboot wurde losgemacht, an den Kranbalken hochgehievt und über die Steuerbordreling im tiefblauen Wasser des Messing-Meers ausgesetzt.
»Sollen sie die Riemen mitnehmen, Jabril?« Einer der Matrosen war angewiesen worden, das Trinkwasserfass und die Notrationen aus dem Boot zu entfernen, und er hatte auch die Riemen herausgeholt.
»Ich denke nicht«, entschied Jabril. »Iono steuert das Boot, wenn es ihm gefällt. Wir lassen sie einfach treiben; das war so abgemacht.«
Gruppen von bewaffneten Matrosen stellten sich vorn und achtern auf, um Locke und Jean zur Fallreepspforte an Steuerbord zu stoßen. Jabril folgte ihnen dichtauf. Als sie den Rand erreichten, sah Locke, dass das Boot mit einem verknoteten Haltetau festgemacht war, das es ihnen erlaubte hinunterzuklettern.
»Ravelle«, begann Jabril mit leiser Stimme. »Glaubst du tatsächlich an den Dreizehnten? Bist du wirklich sein Priester?«
»Ja«, erwiderte Locke. »Das war der einzige wahrhaftige Segen, den ich den beiden mit auf die Reise geben konnte.«
»Irgendwie ergibt das alles einen Sinn. Spione und so.« Jabril schob etwas Kaltes unter Lockes Tunika, in Höhe der Taille, und ließ es mit einer unaufälligen Bewegung in den Bund seiner Hose gleiten. Locke spürte das vertraute Gewicht eines seiner Stilette, die er am Gürtel getragen hatte.
»Vielleicht holt der Vater der Stürme euch schnell zu sich«, flüsterte Jabril, »aber vielleicht lässt er sich auch Zeit. Dann kann es sein, dass ihr verflucht lange auf dem Meer treibt. Bis ihr entscheidet, dass endlich Schluss sein sollte … verstehst du?«
»Jabril …«, begann Locke. »Ich danke dir. Ich … äh … ich wünschte mir, ich wäre ein besserer Käpt’n gewesen.«
»Und ich wünsche mir, du wärst überhaupt kein Käpt’n gewesen. Jetzt klettert endlich in das verdammte Boot, damit wir euch los sind.«
So kam es, dass Locke und Jean von dem sanft schaukelnden Beiboot aus der Roter Kurier hinterherblickten, die mit zerfetzten Segeln in Richtung Südwest zu West davonhinkte, sie beide mitten im Nichts zurücklassend, unter einer brennenden Nachmittagssonne, für deren Anblick Locke noch vor zwei Tagen freudig zehntausend Solari geopfert hätte.
Einhundert Yards, zweihundert, dreihundert … langsam entfernte sich ihr ehemaliges Schiff, während sich anfangs die halbe Mannschaft im Heck zusammenzurotten schien, um sie zu beobachten. Doch schon bald flaute das Interesse für die beiden todgeweihten Männer im Boot ab, und sie widmeten sich wieder ihrer Aufgabe, die darin bestand, ihre kostbare hölzerne Welt daran zu hindern, an ihren Wunden zu krepieren.
Locke fragte sich, wer wohl die Achterkajüte, Jeans Äxte, ihre ungewöhnlichen Werkzeuge und die fünfhundert Solari erben würde, die im Boden seiner persönlichen Truhe versteckt waren – der Rest ihrer letzten eigenen Barschaft und Stragos’ Zuschuss.
Diebe sind gesegnet, dachte er.
»Fantastisch«, näselte er und streckte die Beine aus, so gut es ging. Er und Jean hockten einander gegenüber auf den Ruderbänken eines Bootes, das für sechs Personen gebaut war. »Wieder einmal ist es uns dank unserer Genialität gelungen, einer unmittelbar drohenden Gefahr zu entgehen und dabei wertvolle Beute mitzunehmen. Dieses Boot muss glatt zwei Solari wert sein.«
»Ich hoffe nur, dass derjenige, der sich die Bösen Schwestern unter den Nagel reißt, erstickt!«
»Woran? An den Äxten?«
»Egal an was, Hauptsache, es bleibt ihm im Hals stecken. Ich hätte sie besser aus dem Kabinenfenster werfen sollen, statt sie jemand anders zu überlassen. Oh Götter!«
»Weißt du was? Kurz bevor wir ins Boot gestiegen sind, hat Jabril mir ein Stilett unter die Tunika geschmuggelt.«
Jean dachte eine Weile darüber nach, was das bedeutete, dann zuckte er mit den Schultern. »Wenn wir unterwegs einem kleineren Boot begegnen, dann haben wir wenigstens eine Waffe, um es entern und aufbringen zu können.«
»Äh … bist du mit deiner Achterkajüte zufrieden?«
»Oh ja«, erwiderte Jean. Er stand von der Bank
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