Sturm ueber roten Wassern
habt, einen Armbrustbolzen abzufangen«, erwiderte Drakasha, »werde ich euch nicht daran hindern.« Aber sie sah ein bisschen verdutzt aus, und als die Menge sich aufzulösen begann und zum Fockmast strömte, um sich dort zu bewaffnen, schenkte sie Locke ein kaum wahrnehmbares beifälliges Nicken. »Käpt’n!« Leutnant Delmastro trat vor, Hände und Unterarme mit Ruß von den Rauchfässern verschmiert. Sie sah Locke und Jean an, als sie fragte: » Wer führt denn jetzt die Boote an?«
»Gar keiner, Del. In jedem Boot wird einer von uns sitzen, aber nicht mit an Bord gehen. Was die Schrubberwache tut, nachdem sie die Fleute geentert hat, ist ihre Angelegenheit.«
»Ich will das Kommando über die Boote.«
Drakasha starrte sie mehrere Sekunden lang wortlos an. Bis zur Taille stand sie in wabernden grauen Rauchschwaden.
»Als wir die Kurier aufbrachten, hatte ich nichts zu tun, Käpt’n«, fuhr Delmastro fort. »Seit Wochen habe ich keinen richtigen Enterkampf mehr mitgemacht. Soll ich schon wieder nicht zum Zuge kommen? Ich will auch ein bisschen Spaß haben.«
Drakasha richtete den Blick auf Jean und zog die Stirn kraus. »Du willst dich amüsieren.« »Aye. Wobei ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinde.«
Drakasha seufzte. »Du kriegst das Kommando über die Boote, Del. Aber denk dran, Ravelles Wunsch zu erfüllen. Er klettert als Erster die Bordwand hoch.«
Übersetzt heißt das: wenn er sich schon als Schutzschild für jemand anbietet, dann sollst du davon profitieren. Schick ihn vor und bleib dicht hinter ihm, dachte Locke.
»Sie werden es nicht bereuen, Käpt’n. Schrubberwache! Bewaffnet euch, und wartet in der Kühl auf mich!« Delmastro lief die Treppe zum Achterdeck hoch, vorbei an Utgar, der Drakashas Kinder wegführte, die sich fest an seine Hände klammerten.
»Du bist genauso tapfer wie blöd, Ravelle«, kommentierte Jabril. »Ich könnte dich fast wieder gern haben.«
»… zumindest kann er kämpfen, das wissen wir«, hörte Locke einen der anderen Männer sagen. »Ihr hättet ihn sehen sollen, wie er sich in der Nacht, als wir die Kurier kaperten, um diesen Wachposten gekümmert hat. Puh! Ein Schlag mit der Faust genügte, um ihn zu Boden zu schicken. Er wird uns heute noch zeigen, wozu er fähig ist. Verlasst euch drauf!«
Plötzlich war Locke froh, dass er bereits alles losgeworden war, was sich in seiner Blase befunden hatte.
In der Kühl bewachte eine ältere Matrosin ein paar kleine Fässer, die vollgestopft waren mit den versprochenen Enterbeilen und Säbeln. Jean zog zwei Äxte heraus, wog sie in der Hand und runzelte die Stirn, als Locke zögernd vor den Fässern stand.
»Weißt du überhaupt, was du tust?«, flüsterte er.
»Absolut nicht«, zischte Locke zurück. »Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich machen soll.«
»Schnapp dir einen Säbel und bemüh dich, zuversichtlich auszusehen.«
Locke wählte einen Säbel aus, begutachtete ihn mit vorgetäuschter Kennermiene und heuchelte dann tiefste Zufriedenheit.
»Jeder, der einen Gürtel trägt«, rief Jean, »soll sich eine zweite Waffe nehmen und in den Gurt stecken. Man weiß nie, wann man sie gebrauchen oder einem Kameraden damit aushelfen kann.«
Während ein halbes Dutzend Männer seinen Ratschlag beherzigte, drängte er sich dicht an Locke heran und raunte ihm wieder etwas ins Ohr: »Bleib immer an meiner Seite. Du brauchst gar nicht viel zu machen … halt dich nur ständig an mich, und richte dich zu deiner vollen Größe auf. Vielleicht hat die Gegenseite ja keine Bögen.«
Leutnant Delmastro kehrte in die Kühl zurück; sie trug ihre schwarze Lederweste und Armschützer, außerdem einen vor Messern strotzenden Gürtel. Locke bemerkte, dass die Glocken ihrer Säbel, die die Hände schützen sollten, mit Scherben besetzt waren, die aussahen wie gezackte Splitter aus Elderglas.
»Hier, Valora!« Sie warf Jean einen Halsschutz aus Leder zu und hielt ihr zu einem straffen Pferdeschwanz gebundenes Haar hoch, um ihren Nacken zu entblößen. »Hilf mir, das Ding anzulegen.«
Jean schlang ihr das breite Lederband um den Hals und hakte die Schließen zu.
Delmastro ruckte kurz daran, nickte und hob beide Arme. »Alle Mann zuhören! Ehe wir mit dem Angriff beginnen, müsst ihr so tun, als seid ihr wohlhabende Passagiere und versnobte Landlubber, die man in den Booten rausgeschickt hat, damit sie ihre kostbare Haut retten.«
Ein paar Crewmitglieder gingen herum und verteilten elegante Hüte, Brokatjacken und
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