Sturm ueber roten Wassern
sie gar keine Zeit mehr, die Netze aufzulegen.«
»Und mit welchem Signal geben wir uns zu erkennen?« »Du wirst es nicht verpassen. Vertrau mir.«
7
Zamira Drakasha stand an der Heckreling des Achterdecks und schöpfte Atem; sie musste sich ein wenig von dem Qualm erholen. Durch ihr Fernrohr studierte sie die näher kommende Fleute; die kurze Vorpiek war aufwändig verziert, und ihre hohen Bordwände trugen ein etwas wunderliches Muster aus goldener und schwarzer Farbe. Das war ein gutes Omen; ein derart schmuckes Schiff führte wahrscheinlich hochwertige Fracht und eine ganze Menge Münzen mit sich.
Im Bug standen zwei Offiziere und begutachteten wiederum die Giftorchidee durch ihre eigenen Sehrohre. Sie winkte ihnen auf eine wie sie hoffte aufmunternde Weise zu, erhielt jedoch keine Antwort.
»Na schön«, murmelte sie. »Ihr werdet schon bald Höflichkeiten mit uns austauschen.« Die kleinen schwarzen Umrisse der Matrosen hasteten auf der Fleute hin und her, die nur noch eine Viertelmeile entfernt war. Die Segel flatterten, der Rumpf schien sich zu verlängern – liefen sie etwa davon? Nein, sie killten nur die Segel, schüttelten die überschüssige Windenergie aus, weil das Schiff ein, zwei Strich nach steuerbord drehte; man wollte näher kommen, aber nicht zu nahe. Sie konnte sehen, wie eine Gruppe von Seeleuten mittschiffs mit Pumpen und Schläuchen hantierte und die untere Segeletage mit einem Schwall Wasser befeuchtete. Eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme, wenn man auf See in die Nähe eines wie auch immer gearteten Feuers geriet.
»Signalgasten«, rief sie. »Bereithalten!«
»Aye, Käpt’n«, antwortete ein Chor von Stimmen aus dem vom Qualm verdunkelten Teil des Achterdecks.
Ihre eigenen Boote durchschnitten die Wellen zwischen den beiden Schiffen. In Führung war Ravelle mit seinem Sonnenschirm, der ein bisschen an einen dünnen silbernen Pilz mit einer weichen weißen Kappe erinnerte. Und da war Valora, und dann Ezri … verflucht noch mal. Ezris Bitte hatte ihr gar keine Wahl gelassen, als ihr zu gestatten, die Entermannschaft anzuführen. Andernfalls hätte sie vor der Schrubberwache ganz schön blöd dagestanden. Das winzige Frauenzimmer konnte sich auf etwas gefasst machen. Sie würde ihr gehörig den Kopf waschen … vorausgesetzt, es gefiel den Göttern, Ezri am Leben zu lassen.
Sie beobachtete die Offiziere der Fleute, die vom Bug zur Backbordreling gewandert waren. Es schienen recht stämmige Burschen zu sein, ein bisschen zu dick angezogen für diese Hitze. Ihre Augen waren nicht mehr so scharf wie vor fünfundzwanzig Jahren … Stießen sie einander in die Rippen und spähten aufmerksamer durch die Fernrohre?
»Käpt’n?«, meldete sich einer der Signalgasten.
»Noch nicht«, befahl sie, »noch nicht …« Mit jeder Sekunde verringerte sich der Abstand zwischen der Orchidee und ihrer Beute. Das fremde Schiff hatte die Fahrt verlangsamt und gewendet, aber die Abdrift würde sie so oder so näher bringen … immer näher … Einer der Offiziere der Fleute streckte den Arm aus und deutete in ihre Richtung, dann packte er den anderen bei der Schulter und zeigte wieder nach vorn.
Hastig rissen beide die Fernrohre hoch.
»Ha!«, brüllte Zamira. Jetzt konnten sie ihr nicht mehr entkommen. Sie spürte, wie frische Energie jeden ihrer Schritte und jede Bewegung durchdrang; sie konnte förmlich fühlen, wie die Hälfte ihrer Jahre von ihr abfiel. Oh Götter! Der Moment, in dem die Leute merkten, was die Stunde geschlagen hatte, war jedes Mal wieder wie ein Lebenselixier. Sie rammte ihr Fernrohr zu, schnappte sich ihren Sprechtrichter vom Deck und donnerte über das ganze Schiff:
»Bogenschützen in den Toppen klarmachen! Alle Mann an Deck! Alle Mann an Deck und besetzt die Steuerbordreling. Löscht die Rauchfässer!«
Die Giftorchidee erschauerte; sieben Dutzend Matrosen polterten die Leitern hoch, quollen aus den Luken, bewaffnet und gepanzert und laut schreiend. Die Bogenschützen kamen hinter den Masten hervor, knieten auf den Kampfplattformen und legten Pfeile auf ihre schimmernden Bögen.
Zamira brauchte kein Fernglas, um zu sehen, wie die Offiziere und Matrosen auf dem Deck der Fleute in Panik hin und her wuselten. »Jetzt geben wir ihnen etwas, damit sie endlich einen Grund haben, sich in die Hosen zu pissen!«, schrie sie, ohne den Sprechtrichter zu benutzen. »HISST DIE ROTE FLAGGE!«
Die drei gelben Wimpel, die über dem Achterdeck wehten, fingen an zu flattern
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