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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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und sausten hinunter, direkt in die grauen Schwaden hinein. Aus den Resten der schwarzen, brodelnden Qualmwolke erhob sich ein grellrotes Banner, glänzend wie die Morgensonne, die zornig auf einen Sturm herabschaut.

8
     
     
    »Volles Zeug!«, brüllte Leutnant Delmastro. »Volles Zeug!« Als die blutrote Flagge über dem Heck der Orchidee auftauchte und die Horde der wie verrückt schreienden Matrosen an die Heckreling stürmte, preschten die drei Boote über die Wellen. Locke entledigte sich des Sonnenschirms und der Jacke; er warf beides einfach über Bord, ehe ihm einfiel, dass die Sachen vermutlich sehr viel Geld gekostet hatten. Vor Aufregung atmete er stoßweise; über die Schulter blickte er auf die sich rasch nähernde Bordwand der Fleute, ein glatter hölzerner Wall, der vor ihnen aufragte wie eine schwimmende Festung. Gütige Götter, er zog in eine Schlacht. Was zur Hölle war nur los mit ihm?
    Er biss sich auf die Wange, um sich besser konzentrieren zu können, und klammerte sich mit weißen Fingerknöcheln an das Dollbord. Verdammt, das war keine grandiose Geste. So durfte er sich nicht gehen lassen. Um seine zum Zerreißen gespannten Nerven zu beruhigen, atmete er tief durch.
    Locke Lamora war klein, aber der Dorn von Camorr war eine Größe! Er galt als unverwundbar! Der Dorn von Camorr konnte weder durch eine Klinge noch durch Magie, noch durch Häme verwundet werden. Locke dachte an den Falkner, wie dieser blutend vor ihm auf dem Boden lag. Er dachte an den Grauen König, den er mit seiner Klinge getötet hatte. Er dachte an die Vermögen, die durch seine Finger geflossen waren, und er lächelte.
    Er zog seinen Säbel und fing an, ihn in der Luft zu schwenken. Die drei Boote waren nun beinahe querab, ihre Kielspuren hinterließen im Wasser weiße Dreiecke, und in rund einer Minute würden sie ihr Ziel erreichen. Locke hatte vor, die Rolle seines Lebens zu spielen, er wollte sein Bestes geben; die größte Lüge, zu der er sich hatte hinreißen lassen, sollte ihm passen wie ein erstklassig geschneidertes Kostüm. Vielleicht wäre er in wenigen Augenblicken tot, doch bis dahin – bei den Göttern! – war er der Dorn von Camorr. Er war Kapitän Orrin Ravelle, verdammt noch mal! »Orchidee! Orchidee!« Er stellte sich im Bug seines Bootes in Positur, den Säbel in die Höhe gereckt, als hätte er vor, ganz allein die Fleute zu rammen und ihr ein Loch in die Bordwand zu bohren. »Pullt für die Prise! Pullt für euch! Mir nach, Männer! Wir sind reicher und schlauer als alle anderen!«
    Die Giftorchidee glitt aus der letzten Rauchwolke heraus, als schlüpfe sie aus dem Griff einer gottähnlichen, geisterhaften Hand, und zog einige graue Schwaden hinter sich her. Die Matrosen, die sich an der Reling drängten, brachen in Jubel aus, um dann jählings zu verstummen. Die Segel des Schiffs begannen zu flattern. Drakasha ging schnell über Stag, um das Schiff scharf nach steuerbord zu wenden. Offenbar plante sie, anzuluven und sich ins Lee der Fleute zu pirschen, bis die beiden Schiffe längsseits lagen und so ein Enterkampf mit Messern möglich wurde.
    Durch die plötzlich eingetretene Stille auf der Orchidee konnte Locke zum ersten Mal Geräusche hören, die von der Fleute herüberhallten - Befehle, Panik, Streit, Verwirrung. Und dann übertönte eine blecherne, verzweifelte Stimme aus einem Sprechtrichter den allgemeinen Lärm:
    »Rettet uns! Um der Liebe der Götter willen, bitte … bitte, kommt her und rettet uns!«
    »Mist! Was hat das denn zu bedeuten?«, fluchte Delmastro.
    Locke hatte keine Zeit, um nachzudenken; sie erreichten den Rumpf der Fleute und stießen heftig gegen die Wand aus nassen Planken an ihrer Leeseite. Das Schiff krängte leicht über und machte den Eindruck, als könne es jeden Moment umkippen und die im Vergleich dazu winzigen Boote unter Wasser drücken. Wie durch ein Wunder befanden sich ganz in ihrer Nähe Wanten und ein Enternetz. Locke sprang mit einem Satz in das Netz, den Schwertarm in die Höhe gereckt.
    »Orchidee!«, schrie er, als er, beflügelt von Angst, die feuchten Hanfsprossen hochkletterte. »Mir nach!«
    Dies war der Augenblick der Wahrheit; seine linke Hand fand das Deck am Ende des Enternetzes. Zähneknirschend hieb er mit seinem Säbel zu, unbeholfen und bösartig, für den Fall, dass jemand ihn am Rand des Decks in Empfang nahm. Dann stemmte er sich hoch, rollte unter der Reling durch – die Einstiegspforte hatte er um ein paar Yards verfehlt – und

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