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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Drakasha Locke sah, grüßte sie ihn mit einem knappen Kopfnicken, sagte jedoch nichts, und sie lud ihn auch zu keinem weiteren privaten Gespräch ein.
    Als vollwertigen Besatzungsmitgliedern stand der ehemaligen Schrubberwache das Recht zu, sich ihre Schlafplätze mehr oder weniger selbst zu wählen. Einige quartierten sich in der Hauptlast ein, besonders die, die unter ihren neuen Kameraden willige Partner für die Hängematte gefunden hatten; Locke jedoch begnügte sich weiterhin mit dem nun weniger beengten Raum in der Back. Beim Würfeln gewann er eine Tunika, die er als Kopfkissen benutzte, ein wahrer Luxus, nachdem er so lange auf den kahlen Decksplanken gelegen hatte. Jede Nacht, nachdem er seine Wache beendet hatte, schlief er wie ein Stein bis zur ersten Morgendämmerung.
    Jean verbrachte seine Nächte natürlich woanders.
    Erst am fünfundzwanzigsten Tag des Monats sichteten sie wieder etwas, als der Wind drehte und kräftig aus Süden blies. Bei Sonnenaufgang war Locke an seinem üblichen Platz neben der Backbordwand zusammengesackt und hatte dann ein paar Stunden lang geratzt wie jemand, der mit sich und der Welt zufrieden ist, bis er durch irgendeinen Tumult wach wurde und feststellte, dass Prächtig sich um seinen Hals drapiert hatte.
    »Gah«, spuckte er, und das Kätzchen fasste das als Ermutigung auf, seine Vorderpfoten auf Lockes Wangen zu platzieren und mit seiner feuchten Nase zwischen Lockes Augen herumzuschnüffeln. Locke packte das Tier, setzte sich hin und blinzelte. Sein Verstand war noch wie benebelt; offenbar war er aus dem Tiefschlaf gerissen worden.
    »Hast du mich geweckt?«, murmelte er und streichelte mit zwei Fingern den Kopf des Katers. »Das muss aufhören, Samtpfote. Ich werde dich nämlich bestimmt nicht in mein Herz schließen.«
    »Land in Sicht!«, hallte leise der Ruf von Deck herunter. »Drei Strich backbord querab!« Locke setzte Prächtig auf den Boden, schubste ihn vorsichtig in die Richtung eines anderen schnarchenden Schläfers und kroch hinaus in den strahlenden Sonnenschein.
    An Deck schien die übliche Betriebsamkeit zu herrschen, doch es gab kein Hin- und Hergerenne, keiner flitzte mit dringenden Nachrichten zu Drakasha, es drängten sich nicht mal Matrosen an der Reling, um das gemeldete Land zu beobachten. Jemand schlug Locke kräftig auf den Rücken, und als er herumschwenkte, stand Utgar vor ihm, über der Schulter ein zusammengerolltes Tau. Der Vadraner nickte ihm freundlich zu.
    »Du siehst so verwirrt aus, Rote Wache.«
    »Es ist nur … ich habe den Ruf gehört. Ich hatte mit mehr Aufregung gerechnet. Ist das schon Port Prodigal?«
    »Nee! Das ist zwar schon der Geisterwind-Archipel, aber nur der äußere Rand.
    Fürchterliche Inseln. Das Asp-Atoll, der Bastardfelsen, der Opalsand. Keine Orte, die wir jemals anlaufen würden. Bis Prodigal sind es noch zwei Tage, aber bei diesen Winden klappt es nicht so, wie wir es uns wünschen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Du wirst schon sehen.« Utgar grinste, als hüte er irgendein Geheimnis. »Mach dich auf was gefasst. Leg dich lieber noch mal aufs Ohr, denn in zwei Stunden hockst du auf irgendeinem Mast.«

2
     
     
    Langsam umringten die Geisterwind-Inseln die Giftorchidee, wie eine Bande von Straßenräubern, die sich ihrem erkorenen Opfer genüsslich von allen Seiten nähern.
    An der eben noch leeren Kimm sprossen nun nebelverhangene Dschungeleilande in die Höhe. Hohe, schwarze Gipfel gaben immer wieder ein dumpfes Grollen von sich und rülpsten Dampf- oder Rauchfahnen in den schweren, grauen Himmel. Regen rauschte in dichten Vorhängen hernieder; es war kein Unwetter, wie es auf dem offenen Meer losbrach, sondern eher der lethargische Schweiß der Tropen, warm wie Blut und kaum bewegt von der Dschungelbrise. Je weiter sie nach Westen vordrangen, umso heller färbte sich das Wasser; das Kobaltblau der Tiefsee verwandelte sich in ein Himmelblau, das sich dann zu einem durchscheinenden Aquamarin lichtete. Dieser Ort strotzte vor Leben; über ihren Köpfen kreisten Vögel, Fische flitzten in silbernen Wolken durch die Untiefen, belauert von sehnigen Umrissen, die größer waren als Menschen.
    Auch im Kielwasser der Orchidee strolchten diese Räuber umher – Sichelhaie, Blaue Witwer, Riffgeißeln, Dolchfinnen. Am unheimlichsten waren die in diesen Gewässern heimischen Wolfshaie, deren sandfarbene Rücken es ihnen erlaubten, mit dem hellen Dunstschleier, der das Schiff umgab, zu verschmelzen. Nur ein scharfes Auge

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