Sturm ueber roten Wassern
konnte die geisterhaften Spuren entdecken, die verrieten, wo sie lauerten, und sie hatten die beunruhigende Eigenschaft, ständig unter den Abortleinen hin und her zu schwimmen.
Locke dankte den Göttern, dass die örtliche Spezies nicht dazu neigte, aus dem Wasser zu springen.
Anderthalb Tage lang segelten sie durch den Archipel, und mitunter legte sich die Orchidee schwer über, um einem Riff oder einer der kleineren Inseln auszuweichen.
Drakasha und Delmastro schienen diese Gegend in- und auswendig zu kennen, und nur sehr selten berieten sie sich leise über Drakashas Seekarten. Schließlich erspähte Locke auf den Sandbänken und Felsen Schiffstrümmer – hier einen verwitterten Mast, dort das Gerippe eines uralten Kiels auf sandigem Grund. Während einer Nachmittagswache bemerkte er Hunderte von krabbenähnlichen Wesen, groß wie Hunde, die sich auf dem kieloben liegenden Rumpf eines Schiffs versammelten. Als die Orchidee vorbeiglitt, flohen die Kreaturen in Scharen von ihrem künstlichen Riff, bis das Wasser ringsum weiß schäumte. Wenige Augenblicke später waren sie ganz verschwunden.
Ein paar Stunden später hatte Locke wachfrei, und er spürte eine ständig wachsende Anspannung unter der Besatzung. Irgendetwas hatte sich verändert. Drakasha tigerte unablässig auf dem Achterdeck hin und her, schickte zusätzliche Ausgucks in die Masttoppen und hielt geflüsterte Beratungen mit Delmastro und Mumchance ab.
»Sie will mir nicht sagen, was los ist«, erwiderte Jean, als Locke ihm einen – wie er glaubte diskreten – Wink gab. »Im Augenblick ist sie ganz Leutnant und nicht Ezri.«
»Das allein verrät uns mehr als genug«, meinte Locke. »Irgendwas stimmt hier nicht.«
Beim abendlichen Wachwechsel ließ Drakasha alle Mann an Deck antreten. Die gesamte Besatzung der Orchidee, eine große Anzahl schwitzender, besorgter Männer und Frauen, blickte gespannt zum Achterdeck und wartete auf die Ansprache des Kapitäns. Die Sonne, eine Scheibe aus brennendem Kupfer, krönte die dicht überwucherten Gipfel steuerbord voraus; die Farben des Feuers zogen sich nach und nach in die Wolkenschichten zurück, und über die Inseln senkte sich ein Schatten.
»Ich mache nicht viele Worte«, hob Drakasha an. »Während der letzten Tage kam der Wind stetig von Süden. Wir können heute Nacht in Prodigal vor Anker gehen, aber wir schaffen es nicht durch das Tor der Händler.«
Unter den Leuten wurde allgemeines Gemurmel laut. Leutnant Delmastro trat neben den Käpt’n, legte eine Hand auf ihren Waffengurt und brüllte: »Ruhe vorne und achtern! Bei Perelandros Pisse, die meisten von uns waren schon mal hier.«
»Ganz recht«, bekräftigte Drakasha. »Nur Mut, Leute. Die übliche Routine. Rote Wache, ihr ruht euch aus. Richtet euch darauf ein, in ein paar Stunden an Deck gerufen zu werden. Danach wird nicht mehr geschlafen, nicht mehr getrunken und nicht mehr gevögelt, bis wir sicher in der Heimat angekommen sind. Blaue Wache, ihr habt jetzt Dienst. Del, kümmere dich um die Neuen. Erklär ihnen, was los ist.«
»Was ist denn los?«, fragte Locke ratlos, während die Crew sich bereits zerstreute.
»Zwei Passagen führen nach Port Prodigal«, antwortete Jabril. »Die erste nennt man das Tor der Händler, und sie liegt nördlich der Stadt. Ist ungefähr zwölf Meilen lang, würde ich sagen. Krümmt und windet sich wie eine Schlange, überall mit Sandbänken durchsetzt. Selbst im günstigsten Fall kommt man nur sehr langsam voran, doch wenn es kräftig aus Süden bläst, ist man verdammt in den Arsch gekniffen. Dann dauert es Tage, bis man durch ist.«
»Und was zur Hölle tun wir jetzt?«
»Wir nehmen die zweite Passage und nähern uns Prodigal von Westen. Sie ist nur halb so lang wie das Tor der Händler. Hat auch jede Menge Windungen, aber die sind bei weitem nicht so tückisch. Besonders bei Südwind. Trotzdem benutzt man diese Fahrrinne nur, wenn es gar nicht anders geht. Man nennt sie die Salon-Passage.«
»Warum?«
»Weil man dort von etwas empfangen wird«, warf Leutnant Delmastro ein, während sie sich durch die kleine Gruppe – alles Ehemalige von der Kurier – pflügte, die sich um Jabril scharte. Locke sah, wie sie flüchtig Jeans Arm drückte, ehe sie fortfuhr:
»Irgendetwas lebt in dieser Passage.«
»Irgendetwas?« Locke schaffte es nicht, die Gereiztheit in seiner Stimme zu unterdrücken. »Kann es das Schiff gefährden?«
»Nein«, antwortete Delmastro.
»Dann lassen Sie es mich anders
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