Sturm ueber roten Wassern
gähnte, folgte die Katze seinem Beispiel; dann versuchte sie, sich aus Lockes Umklammerung zu winden, weil sie offenbar auf seinen Kopf klettern wollte. Locke hielt den winzigen Kater in die Höhe und sah ihn streng an.
»Ich werde mich nicht von dir betören lassen«, sagte er. »Such dir jemand anders, den du besabbern kannst.« Wohl wissend, dass man ihn kurzerhand über Bord schmeißen würde, wenn jemand ihn dabei ertappte, wie er eine Katze misshandelte, setzte er Prächtig auf den Decksplanken ab und schob ihn mit dem bloßen Fuß sanft von sich weg.
»Bist du überhaupt befugt, diesem Kater Befehle zu erteilen?« Locke drehte sich um und sah Jean auf der Treppe zum Vordeck stehen; er war noch dabei, sich eine Tunika überzustreifen. »Du solltest vorsichtiger sein. Er könnte den Rang eines Bootsmannsmaats innehaben.«
»Wenn er sich selbst einstufen sollte, dann rangiert er wohl irgendwo zwischen Drakasha und den Zwölf Göttern.« Mehrere Sekunden lang starrte Locke zu Jean hinauf. »Hallo.«
»Hallo …«
»Hör mal, eigentlich müssten wir jetzt natürlich Entschuldigungsreden schwingen bis zum Abwinken, aber ich fühle mich immer noch als Opfer dieses blauen Weins, also lass uns einfach …«
»Tut mir leid«, sagte Jean.
»Nein, das ist mein Text.«
»Ich wollte sagen … wir sind uns mal wieder ganz gehörig in die Haare geraten, nicht wahr?«
»Na ja, eine Schlacht trägt nicht unbedingt zur Beruhigung der Nerven bei. Ich nehm’s dir nicht übel, was du gesagt hast.«
»Wir können eine Lösung finden«, erwiderte Jean mit leiser, drängender Stimme.
»Gemeinsam daran arbeiten. Ich weiß, dass du nicht … ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Ich hab’s verdient. Und du hattest recht. Gestern Nacht hatte ich ein ausführliches Gespräch mit Drakasha.«
»Tatsächlich? Was hast du ihr gesagt?«
»Ich habe …« Locke verzog das Gesicht und streckte sich noch einmal, um so die Handzeichen zu verbergen, mit denen er dem verblüfften Jean das Wichtigste mitteilte:
Soldmagier, Sündenturm, Camorr und echte Namen verschwiegen. Ansonsten Wahrheit.
Er senkte den Blick. »Ich sagte doch schon, dass du recht hast.«
»Und was hat sie …«
Locke bewegte die Hand, als würde er würfeln, und zuckte mit den Schultern. »Ehe sich überhaupt etwas ergibt, laufen wir Port Prodigal an. Da gibt es eine Menge Dinge zu erledigen. Und danach wird sie uns ihren Entschluss mitteilen … sagte sie.«
»Ich verstehe. Also …«
»Hast du dich gut amüsiert gestern Nacht?«
»Und ob, bei den Göttern!«
»Schön. Und was ich gestern sagte wegen …«
»Du brauchst dich nicht zu …«
»Ich will es aber. Es war das absolut Dümmste von allem, was mir gestern über die Lippen gekommen ist. Und es war nicht fair. Ich weiß, dass ich die Hoffnung schon so lange aufgegeben habe, dass ich mich in meine Frustration hülle wie in einen Mantel.
Ich missgönne dir nicht, was du hast. Du sollst es genießen.«
»Das tue ich«, betonte Jean. »Glaube mir, das tue ich wirklich.«
»Schön. An mir solltest du dir wirklich kein Beispiel nehmen.«
»Äh … ich …«
»An Bord alles wohl, Meister Valora.« Locke lächelte und freute sich, als er merkte, dass sich seine Mundwinkel wie von selbst nach oben zogen. »Aber dieser blaue Wein, den ich vorhin erwähnte …« »Wein?
Hast du …«
»Ich muss dringend zum Abtritt, Jerome. Wenn ich nicht gleich pisse, platzt meine Blase. Und du blockierst die Treppe.«
»Ah.« Jean kam die Stufen herunter und klopfte Locke herzlich auf den Rücken.
»Entschuldigung. Dann befreie dich jetzt, Bruder.«
Kapitel Zw ölf
Port Prodigal
1
Die Giftorchidee segelte in Richtung West zu Süd; die Luft war klebrig-schwül und der Seegang mäßig; für Locke vergingen die Tage in einem Rhythmus aus Pflichten.
Er und Jean wurden der Roten Wache zugeteilt, die während Nasreens Abwesenheit Leutnant Delmastros direkter Aufsicht unterstand. Die großartige Einweihungsfeier hatte nichts daran geändert, dass das Schiff ständig gewartet werden musste. Die Masten wurden immer noch mit Fett eingeschmiert, die Plankenstöße und Nähte mussten dauernd inspiziert werden, man schrubbte die Decks ab und trimmte die Segel neu. Locke ölte Säbel aus den Waffenschapps ein, schuftete am Gangspill, um Frachten anders zu stauen, damit das Schiff besser im Wasser lag, schenkte zu den abendlichen Mahlzeiten Bier aus und zupfte Taustücke zu Werg, bis seine Finger wund waren.
Wenn
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