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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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gefolgt von Locke, merkte er zu seiner Erleichterung, dass die Spannung, die noch vor wenigen Minuten über dem ganzen Schiff gelastet hatte, nachließ. Die Matrosen konnten wieder lächeln, wechselten ein paar Worte, hier und da wurde sogar laut gelacht. Ein paar Seeleute sonderten sich jedoch ab, mit verschränkten Armen und gesenktem Blick, doch selbst sie machten einen viel entspannteren Eindruck. Aber Jean fiel auch auf, dass die meisten Crewmitglieder bestrebt waren, ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf das Schiff und die Kameraden zu richten.
    Erst nach einer guten Stunde trauten sich viele der Matrosen wieder, hinaus aufs Wasser zu schauen.

5
     
     
    Jemand, der um diese mitternächtliche Stunde tausend Fuß hoch über Port Prodigal geschwebt wäre, hätte ein dünnes Band aus Licht gesehen, das wie ein Kleinod mitten in diese grenzenlose tropische Dunkelheit eingebettet war. Monde und Sterne verbargen sich hinter Wolkenschleiern. Selbst die schmalen roten Lavaströme, die gelegentlich den fernen Horizont in Brand setzten, waren nicht zu sehen; in dieser Nacht glosten die schwarzen Berge ohne ein sichtbares Feuer.
    Prodigal liegt an einem langgezogenen Strand an der Nordseite einer großen, hügeligen Insel; dahinter erstreckt sich meilenweit ein urtümlicher Regenwald, der mit der Nacht verschmilzt. Nirgendwo in dieser unwirtlichen Einöde funkelt auch nur ein einziges Licht.
    Der weite, von allen Seiten umschlossene Hafen bietet Schiffen, wenn sie von der offenen See hereinkommen, einen idealen Schutz, nachdem sie einmal durch eine der tückischen Passagen geschlüpft sind. Der weiße Sandboden der Bucht ist völlig frei von Riffen, kleineren Inseln oder sonstigen Gefahrenstellen. Am Ostrand der Stadt flacht das Wasser bis auf Hüfthöhe ab, während im Westen selbst Schiffe mit viel Tiefgang quasi am Ufer anlegen können und immer noch acht bis neun Faden Wasser unter dem Kiel haben.
    Ein Wald aus Masten schwankt sachte über der Bucht, ein schwimmendes Sammelsurium aus Anlegern, Booten, Arbeitskähnen und Hulks in jedem Stadium des Verfalls. In Port Prodigal gibt es zwei nicht streng voneinander abgegrenzte Ankerplätze; der erste ist der Friedhof, in dem hunderte von Hulks und Wracks vor sich hin dümpeln, die nie wieder die offene See befahren werden. Östlich davon, sämtliche größeren und neueren Kaianlagen beanspruchend, liegt das Hospital, das diesen Namen trägt, weil seine Patienten vielleicht überleben werden.

6
     
     
    Eine Glocke fing an zu läuten; der dumpfe Klang hallte über das Wasser, sowie die Giftorchidee aus der Salon-Passage auftauchte.
    Locke blickte über die Backbordreling auf die Lichter der Stadt und ihre gekräuselten Spiegelbilder in der Bucht.
    »Die Hafenwache läutet das verdammte Ding, bis wir Anker werfen.« Jabril hatte sein Interesse bemerkt und sich neben ihn an die Reling gestellt. »Schließlich soll jeder wissen, dass sie arbeiten und sich ihre Ration Schnaps schwer verdienen.«
    »Verbringst du viel Zeit hier, Jabril?«
    »Ich wurde hier geboren. Als ich einmal einen anderen Ozean sehen wollte, landete ich prompt im Kerker von Tal Verrar.«
    Das Ankern in der Bucht von Prodigal fand ohne die Zeremonien statt, die Locke andernorts gesehen hatte; keine Lotsen, keine Zollbeamten, nicht mal ein einziger neugieriger Fischerkahn. Und zu seiner Überraschung brachte Drakasha die Orchidee gar nicht tief in den Hafen hinein. Ungefähr eine Meile vom Ufer entfernt gingen sie vor Anker, mit beschlagenen Segeln und brennenden Laternen.
    »Ein Boot nach backbord ausbringen«, befahl Drakasha, während sie die Stadt und ihre Ankerplätze durch ihr Fernglas beobachtete. »An Steuerbord Klingennetze aufriggen.
    Die Laternen bleiben an. Die Blaue Wache kann nach unten gehen, aber an den Masten werden griffbereit Säbel ausgelegt. Del, hol Malakasti, Dantierre, Konar den Riesen und Rask.«
    »Zu Befehl, Käpt’n.«
    Nachdem Locke einem Arbeitstrupp geholfen hatte, eines der größeren Beiboote über die Seite zu fieren, ging er zu Drakasha aufs Achterdeck, wo sie immer noch durch ihr Fernrohr die Stadt betrachtete.
    »Ich nehme an, Sie haben einen guten Grund, so vorsichtig zu sein, Käpt’n.«
    »Wir waren ein paar Wochen weg«, erwiderte Drakasha, »und da kann sich eine Menge ändern. Ich habe eine starke Mannschaft und ein großes Schiff, aber hier liegen Kähne, die noch größer sind und eine noch stärkere Besatzung haben.«
    »Sehen Sie etwas, das Sie

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