Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
Moment lauerte Jean hinter Selendri; das Blut aus der gebrochenen Nase des Wächters strömte über sein Gesicht. Selendri schlug mit den Klingen nach ihm, aber Jeans Wut brachte ihn in Höchstform. Er fing ihren metallenen Unterarm ab, boxte sie in den Magen, sodass sie vornüberkippte, wirbelte sie herum und hielt sie dann an den Armen fest. Sie krümmte sich und rang nach Luft.
    »Das ist ein schönes Büro«, bemerkte Jean ruhig, als hätte er gerade Selendri und den Bediensteten die Hände geschüttelt, anstatt sie zusammenzuschlagen. Locke runzelte die Stirn, machte jedoch mit dem Plan weiter – der Zeitfaktor war von höchster Wichtigkeit.
    »Passen Sie gut auf, Selendri, denn diesen Trick kann ich nur ein einziges Mal zeigen«, verkündete er, zückte die falschen Spielkarten und mischte sie mit einer theatralischen Geste. »Gibt es hier alkoholische Getränke? Etwas Hochprozentiges, das einem Mann die Tränen in die Augen treibt und wie Feuer in der Kehle brennt?« Er mimte den Überraschten, als er auf dem Regal hinter Requins Schreibtisch eine Kognakflasche sah, gleich neben einer silbernen, mit Blumen gefüllten Schale.
    Locke nahm die Schale, kippte die Blumen auf den Boden und setzte den leeren Behälter auf die Schreibtischplatte. Dann öffnete er die Kognakflasche und goss den braunen Inhalt in die Schale, bis sie ungefähr drei Finger breit gefüllt war.
    »Wie Sie sehen können, halte ich nichts in meinen Händen außer diesen ganz normalen, handelsüblichen Spielkarten, nicht wahr?« Er mischte die Karten ein letztes Mal, dann warf er sie in die Schale. Die alchemischen Karten wurden weich, zerflossen, es bildeten sich Blasen und Schaum. Die Bilder und Symbole lösten sich auf, zuerst in eine weiße, bunt marmorierte Masse, dann in einen öligen grauen Leim. Auf einem kleinen Teller am Schreibtischrand entdeckte Locke ein Buttermesser mit runder Spitze; damit rührte er den grauen Teig kräftig um, bis von den Spielkarten keine Spur mehr übrig blieb.
    »Was zur Hölle tun Sie da?«, fragte Selendri.
    »Ich stelle alchemischen Zement her«, erklärte Locke. »Das sind kleine Harzoblaten, die so angemalt sind, dass sie wie Spielkarten aussehen. In hochprozentigen Spirituosen lösen sie sich auf. Große Götter, wenn ich Ihnen sage, was ich dafür bezahlt habe, würden Sie es nicht glauben. Zur Hölle, nach dieser Ausgabe war ich so blank, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als hierherzukommen und Sie zu berauben.«
    »Was haben Sie damit vor …«
    »Wie ich aus eigener leidvoller Erfahrung weiß, ist das Zeug nach dem Trocknen härter als Stahl.« Er lief zu dem unauffälligen Ausgang des Fahrstuhls an der Wand und schmierte den grauen Leim über die feinen Ritzen, welche die Tür markierten.
    »Wenn ich mit dem Zement diese schöne verborgene Tür zukleistere und ihn in das Schloss der Haupttür gieße, brauche ich nur eine Minute zu warten – und wenn Requin dann heute Nacht noch einmal sein Büro betreten will, muss er sich mit einem Rammbock Einlass verschaffen.«
    Selendri versuchte, um Hilfe zu schreien, doch dazu war ihre Kehle zu stark beschädigt; sie gab zwar laute, verstörende Geräusche von sich, aber sie reichten nicht aus, um in der darunterliegenden Etage gehört zu werden. Locke rannte die Eisentreppe hinunter, schloss die Haupttür zu Requins Büro und versiegelte den Schließmechanismus mit einem Klumpen aus sich bereits verhärtendem Zement.
    »Und jetzt«, verkündete er, als er ins Herzstück des Büros zurückkehrte, »kommt die nächste Attraktion dieses Abends, und dazu benötige ich diesen herrlichen Satz Stühle, den ich unserem verehrten Gastgeber zum Geschenk gemacht habe. Ich weiß nämlich doch, was der Talathri-Barock ist, und es gibt einen Grund, weshalb jemand, der seines Verstandes mächtig ist, so wunderhübsche Stühle aus einem so empfindlichen Material wie Holzschaum herstellt.«
    Locke griff nach einem der Stühle. Mit den bloßen Händen riss er das Sitzkissen und den darunterliegenden Rahmen ab; wie sich herausstellte, befand sich unter dem Polster eine flache Kammer, die vollgepackt war mit Werkzeugen und Ausrüstungsgegenständen – Messer, ein lederner Klettergürtel, Klammern und Abseilhaken sowie einige andere Kleinigkeiten. Er schüttete den Inhalt des Fachs aus, und die Sachen landeten klirrend auf dem Boden. Danach hob er breit grinsend den Stuhl über seinen Kopf.
    »Man kann sie leichter kaputtschlagen.«
    Er schmetterte den Stuhl auf

Weitere Kostenlose Bücher