Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
und wir werden es wieder beweisen – in dieser Nacht, vor allen Göttern.

6
     
     
    »Schert euch von dieser Tür weg, ihr – Oh, Götter, ihr seid es! Hilfe!«
    Der Rausschmeißer, dem Jean bei ihrer letzten Begegnung die Rippen gebrochen hatte, prallte zurück, als die beiden über den Hof auf ihn zurannten. Locke sah, dass er unter dem dünnen Stoff seiner Tunika eine Art Stützkorsett trug.
    »Wir sind nicht hier, um Ärger zu machen«, keuchte Locke. »Hol … hol Selendri. Hol sie sofort!«
    »Ihr seid nicht passend angezogen …«
    »Hol sie und verdiene dir eine Münze!« Locke wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Bleib stehen, und wir brechen dir ein zweites Mal deine verdammten Rippen.«
    Ein halbes Dutzend Angestellte des Sündenturms rotteten sich zusammen, für den Fall, dass es Schwierigkeiten gäbe, doch keiner machte Anstalten, sie anzugreifen.
    Wenige Minuten nachdem der verletzte Rausschmeißer im Turm verschwunden war, kam Selendri ohne ihn zurück.
    »Ich dachte, ihr zwei seid auf hoher See …«
    »Keine Zeit für Erklärungen, Selendri. Der Archont will uns verhaften lassen. Ein Trupp Allsehender Augen ist schon unterwegs. Sie müssen gleich hier sein.«
    »Was?«
    »Er hat es irgendwie spitzgekriegt!«, sprudelte es aus Locke heraus. »Er weiß, dass wir zusammen mit Ihnen gegen ihn intrigieren …«
    »Nicht hier!«, zischte Selendri.
    »Verstecken Sie uns. Bitte, verstecken Sie uns!«
    Locke sah, wie sich auf der intakten Seite ihres Gesichts die widerstreitendsten Gefühle spiegelten – Panik, Enttäuschung und kühle Berechnung. Sollte sie sie ihrem Schicksal überlassen, damit sie in den Folterkammern des Archonten alles ausplauderten? Sollte sie einem hartgesottenen Burschen vom Sündenturm den Befehl geben, die beiden hier auf dem Hof zu töten, vor Zeugen und ohne die plausible Ausrede eines unglücklichen Fenstersturzes? Nein. Sie musste sie verstecken. Fürs Erste.
    »Kommen Sie mit«, flüsterte sie. »Schnell, hier rein. Du und du – filzt die beiden.«
    Die beiden Angestellten durchsuchten Locke und Jean und nahmen ihnen ihre Dolche und Geldbörsen ab, die sie an Selendri weiterreichten.
    »Der hier hat ein Kartenspiel bei sich«, sagte der eine, nachdem er Lockes Tunikataschen durchstöbert hatte.
    »Ja und?«, erwiderte Selendri. »Das war nicht anders zu erwarten. Es ist mir egal. Wir gehen ins neunte Stockwerk.«
    Zum letzten Mal betraten sie Requins prunkvollen Tempel der Habsucht; sie gingen durch die Menge der Gäste und durch die Rauchschwaden, die wie ruhelose Geister in der Luft hingen, dann die breite Wendeltreppe hinauf, vorbei an den Etagen, in denen mit zunehmender Höhe auch der Luxus und das Risiko stiegen.
    Während sie nach oben gingen, sah Locke sich um; bildete er es sich ein, oder wurde der Sündenturm heute Nacht tatsächlich von den Priori gemieden? Sie gelangten in die vierte Etage, dann in die fünfte – und dort wäre er natürlich fast mit Maracosa Durenna zusammengestoßen, die große Augen machte, als Selendri und ihre Wachen Locke und Jean an ihr vorbei bugsierten. Durennas Miene verriet Locke, dass sie nicht nur verblüfft oder irritiert war – oh Götter. Sie wirkte angewidert!
    Locke konnte sich vorstellen, was für ein Bild er und Jean abgeben mussten – die Haare viel zu lang, abgemagert und von der Sonne verbrannt. Obendrein unangemessen gekleidet, verschwitzt und eindeutig im Clinch mit dem Haus. Er grinste und winkte Durenna zu, während sie an ihr vorbeigingen und sie aus seinem Blickfeld verschwand.
    Sie gelangten in die obersten Etagen, die zu den exklusivsten des Kasinos gehörten.
    Immer noch keine Priori zu sehen – Zufall oder ein ermutigendes Zeichen?
    Dann ging es hinein in Requins Büro, wo der Herr des Sündenturms vor einem Spiegel stand und gerade ein langes, schwarzes Abendjackett mit Silberbrokatbesatz anlegte.
    Als er Locke und Jean entdeckte, bleckte er die Zähne; die Boshaftigkeit in seinen Augen funkelte genauso stark wie der alchemisch erzeugte Glanz seiner Brille.
    »Die Allsehenden Augen des Archonten sind im Anmarsch«, verkündete Selendri. »Sie wollen Kosta und de Ferra verhaften.«
    Requin gab ein wütendes Knurren von sich, machte einen Satz nach vorn wie ein Fechter und schlug Locke mit überraschender Kraft den Handrücken ins Gesicht.
    Locke verlor das Gleichgewicht und rutschte auf dem Hintern über den Boden, bis er gegen Requins Schreibtisch knallte. Über ihm klapperte allerlei

Weitere Kostenlose Bücher