Sturm ueber roten Wassern
standen Dutzende von verschlossenen Glasbehältern, die alle etwas Dunkles, Verschrumpeltes enthielten … tote Spinnen? Nein, berichtigte sich Locke – menschliche Hände. Abgetrennt, getrocknet und als Trophäen aufbewahrt, wobei an vielen dieser gekrümmten und ausgedörrten Finger noch Ringe glänzten.
»Ehe wir zum Unvermeidlichen schreiten, ist dies unsere übliche Vorgehensweise«, erklärte Requin in saloppem Plauderton. »Rechte Hand – adieu! Es wird eine hübsche kleine Operation. Früher war dieser Raum mit Teppichen ausgelegt, aber die Blutflecken waren verdammt schwer rauszukriegen.«
»Sehr vernünftig, auf Reinlichkeit zu achten.« Locke spürte, wie ein einzelner Schweißtropfen langsam seine Stirn hinunterperlte. »Es ist Ihnen gelungen, mich zu beeindrucken. Dürfte ich jetzt meine Hand wiederhaben?«
»In ihrem ursprünglichen Zustand? Das möchte ich stark bezweifeln. Aber beantworten Sie mir ein paar Fragen, und ich lasse mich vielleicht gnädig stimmen. Sie sagen, Sie hätten mit Taschenspielertricks gearbeitet. Verzeihen Sie mir meine Skepsis - aber meine Angestellten sind außergewöhnlich gut darin, Kartenhaie zu enttarnen.«
»Ich bin mir sicher, dass Ihre Angestellten ihr Bestes geben.« Locke kniete sich vor den Schreibtisch, um eine möglichst bequeme Haltung einzunehmen, und lächelte. »Aber ich kann eine lebendige Katze nach Belieben in ein Spiel mit sechsundfünfzig Karten rein- und wieder rausschmuggeln. Die anderen Spieler beschweren sich vielleicht über das laute Maunzen, aber die Quelle werden sie nie entdecken.«
»Dann setzen Sie mir doch eine lebendige Katze auf den Schreibtisch.«
»Ich wählte eine … äh … bildhafte Redewendung. In Tal Verrar ist es in dieser Saison leider nicht Mode, dass der elegante Herr eine lebendige Katze als Accessoire zur Abendgarderobe trägt.«
»Wirklich – ein Jammer! Aber keine Überraschung. Vor mir haben schon eine Menge Männer gekniet – so wie Sie jetzt -und hatten mir außer bildhaften Redewendungen nicht viel anzubieten.«
Locke seufzte. »Ihre Jungs haben mir meinen Rock und meine Schuhe weggenommen, und als sie mich filzten, hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten meine Leber in der Hand gehalten. Aber was haben wir denn da?«
Er schüttelte seinen linken Ärmel aus und hielt die linke Hand hoch, um zu zeigen, dass irgendwie ein Kartenspiel hineingefallen war.
Selendri drückte ihre Klingen gegen Lockes Kehle, doch Requin winkte sie lächelnd zurück. »Mit einem Päckchen Karten kann er mich schwerlich umbringen, Liebling. Nicht schlecht, Meister Kosta.«
»Und nun«, sagte Locke, »wollen wir doch mal sehen.« Er reckte den Arm in einer geraden Linie zur Seite, das Spiel mit Daumen und allen vier Fingern festhaltend. Eine flinke Drehung aus dem Handgelenk, ein leichtes Schnellen des Daumens, und er hatte das Spiel abgehoben. Er fing an, die Finger abwechselnd zu beugen und zu spreizen, ständig das Tempo erhöhend, bis sie sich bewegten wie eine Spinne, die Fechtunterricht nimmt. Abheben und mischen, abheben und mischen -mindestens ein Dutzend Mal fächerte er die Karten auf und schob sie wieder zusammen. Zum Schluss warf er das Kartenspiel mit einer einzigen, fließenden Bewegung auf den Schreibtisch und breitete es verdeckt in einem langen Bogen aus, wobei er einen Teil von Requins Nippsachen in Unordnung brachte.
»Suchen Sie sich eine Karte aus«, forderte Locke ihn auf. »Egal, welche. Sehen Sie sie an, aber zeigen Sie sie mir nicht.«
Requin tat wie geheißen. Während er die Karte prüfte, die er gezogen hatte, sammelte Locke den Rest des Spiels in umgekehrter Richtung wieder ein. Abermals mischte er die Karten und hob ab, dann teilte er das Spiel und legte eine Hälfte auf das Pult. »Und jetzt legen Sie Ihre Karte auf dieses Päckchen. Aber merken Sie sich, welche Karte Sie in der Hand hatten.«
Als Requin die Karte zurücklegte, klatschte Locke die andere Hälfte des Spiels obendrauf. Mit der Linken nahm er den kompletten Packen, um ihn noch fünf weitere Male mit einer Hand zu mischen und abzuheben. Dann nahm er die oberste Karte hoch – es waren vier Kelche – und legte sie lächelnd auf Requins Schreibtisch. »Diese Karte hatten Sie in der Hand, Herr des Sündenturms.« »Nein«, entgegnete Requin mit einem hämischen Grinsen.
»Mist!« Locke schnippte die nächste Karte von dem Packen, das Siegel der Sonne. »Aha – ich wusste doch, dass sie hier irgendwo sein muss.« »Falsch!«, trumpfte
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