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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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steinerne Pflanze in einem Glasgarten.
    Man brachte Locke und Jean an einen Ort unterhalb des Palastes. Locke mutmaßte, dass sie in dem Hohlraum standen, der den Mon Magisteria von der ihn umgebenden Insel trennte; sie befanden sich in einer gigantischen Kaverne aus dunklem Elderglas, das in Millionen Facetten schimmerte. Die darüber liegende Schicht Elderglas, welche die Insel bildete, musste ungefähr fünfzig bis sechzig Fuß dick sein. Der Kanal, durch den das Boot gefahren war, bog nach links ab, und das klatschende Geräusch des Wassers wurde übertönt von einem fernen Donnern und Brausen, dessen Quelle nicht auszumachen war.
    Die private Insel des Mon Magisteria verfügte über einen breiten steinernen Anleger, an dem mehrere Boote vertäut waren, einschließlich eines geschlossenen Kahns mit seidenen Sonnensegeln und vergoldeten Holzschnitzereien, der aussah, als diene er zeremoniellen Zwecken. In eiserne Pfosten eingelassene blassblaue alchemische Lampen füllten die Grotte mit Licht; hinter den Pfosten standen ein Dutzend Soldaten in Habtachtstellung. Ein flüchtiger Blick nach oben verriet Locke, wer für ihre Gefangennahme verantwortlich war; doch allein die Soldaten hätten ausgereicht, um ihn erkennen zu lassen, mit wem er es zu tun hatte.
    Sie trugen dunkelblaue Wämser und Kniehosen, schwarze lederne Armschützer, Westen und Stiefel – alles punziert mit erhabenen Mustern aus schimmerndem Messing. Blaue Kapuzen bedeckten die Köpfe, und die Gesichter waren hinter glatten ovalen Masken aus polierter Bronze verborgen. Gitter aus winzigen Löchern erlaubten ihnen zu sehen und zu atmen, doch aus der Ferne wirkten die Soldaten nicht wie Menschen, sondern wie gesichtslose, zum Leben erwachte Skulpturen.
    Die Allsehenden Augen des Archonten.
    »Sie sind angekommen, Meister Kosta, Meister de Ferra.« Die Frau, die Locke und Jean aufgelauert hatte, stieg auf den Anleger, schob sich zwischen sie und fasste beide unter die Ellbogen; dabei lächelte sie, als rüsteten sie sich für eine nächtliche Vergnügungstour durch die Stadt. »An diesem Ort kann man sich ungestört unterhalten.«
    »Warum hat man uns hierher gebracht?«, wollte Jean wissen.
    »Das dürfen Sie mich nicht fragen«, erwiderte die Frau und bugsierte sie sachte nach vorn. »Meine Aufgabe ist es, aufzuspüren und abzuliefern.«
    Direkt vor den in Reih und Glied stehenden Soldaten des Archonten ließ sie Locke und Jean los. Deren angespannte Mienen spiegelten sich in einem Dutzend glänzender Bronzemasken.
    »Und manchmal«, ergänzte die Frau, während sie zum Boot zurückging, »gehört es zu meinem Job, zu vergessen, dass ich Gäste hierher gebracht habe. Nämlich dann, wenn sie nie wieder auftauchen.«
    Ohne erkennbares Signal setzten sich die Allsehenden Augen des Archonten in Bewegung; Locke und Jean wurden jeweils von mehreren Soldaten umringt und bewacht. Einer von ihnen – wieder eine Frau – verkündete mit finsterer Stimme, die in der Grotte drohend nachhallte: »Wir gehen nach oben. Leisten Sie keinen Widerstand, und sprechen Sie kein Wort.«
    »Was passiert, wenn wir es doch tun?«, muckte Locke auf.
    Das Allsehende Auge, das gesprochen hatte, trat ohne zu zögern auf Jean zu und versetzte ihm einen Hieb in den Magen. Der kräftig gebaute Mann blies verblüfft den Atem aus und zog eine Grimasse, während das weibliche Allsehende Auge sich wieder an Locke wandte. »Wenn einer von euch Schwierigkeiten macht, bin ich angewiesen, den anderen zu bestrafen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
    Locke biss auf die Zähne und nickte.
    Eine breite, im Zickzack verlaufende Treppe führte vom Anleger aus nach oben; das Glas unter ihren Füßen war rau wie Ziegelstein. Über unzählige Treppenfluchten lotsten die Soldaten des Archonten Locke und Jean hinauf, vorbei an schimmernden Wänden, bis ihnen wieder die feuchte Nachtbrise der Stadt ins Gesicht wehte.
    Sie gelangten auf das Gebiet, das hinter dem gläsernen Canyon lag. Dicht am Rand des dreißig Fuß breiten Einschnitts stand ein Wachhaus, neben einer zurzeit senkrecht hochgestellten Zugbrücke in einem wuchtigen Holzrahmen. Locke nahm an, dass dies der übliche Zugang zur Residenz des Archonten war.
    Der Mon Magisteria war eine herzogliche Festung im typischen Stil des Theriner Throns; das höchste Gebäude des Ensembles umfasste mindestens fünfzehn Stockwerke, und die Länge der Seiten übertraf die Höhe leicht um das Drei- bis Vierfache. Mit Zinnen versehene Brustwehren

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