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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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ihrem Rücken brüllte der Wasserfall noch ein Weilchen, dann schlossen sich hinter der Transportkabine mit lautem Knall zwei kolossale Türflügel, und der ohrenbetäubende Lärm schwoll ab zu einem dumpfen Echo.
    In einer Wandnische zu Lockes Linken befand sich irgendeine mit Wasser betriebene Maschine. Mehrere Männer und Frauen standen vor schimmernden Messingzylindern und fuhrwerkten mit Hebeln herum, die an komplizierten mechanischen Gerätschaften befestigt waren, deren Funktionen Locke nicht einmal erahnen konnte. Schwere Eisenketten verschwanden gleich neben der Spur, auf der die große Holzkiste entlang rumpelte, in dunklen Löchern im Boden. Auch Jean legte den Kopf schräg, um sich diese Kuriosität näher anzusehen, doch sowie keine Gefahr mehr bestand, auf den glatten Steinen auszurutschen, verflog der kurze Moment der Toleranz, zu dem die Soldaten sich hatten hinreißen lassen, und abermals trieben sie die beiden Diebe zügig vor sich her. Im Eiltempo durchquerten sie die Eingangshalle, die weitläufig und prächtig genug war, um darin mehrere Bälle gleichzeitig zu veranstalten. Der Saal hatte keine Fenster, die nach draußen gingen, sondern war mit ziemlich künstlich wirkenden Panoramen aus Buntglas ausgestattet, die von hinten beleuchtet wurden. Jedes Fenster zeigte eine stilisierte Ansicht des Bildes, das man durch eine echte Öffnung im Stein gesehen hätte – weiße Gebäude und Villen, einen dunklen Himmel, die terrassenförmig angeordneten Inseln jenseits des Hafens, Dutzende von Segeln an den Hauptankerplätzen.
    Locke und Jean wurden in einen Nebensaal gebracht, es ging eine Treppe hoch, dann hetzten sie durch die nächste Halle, vorbei an blauberockten Wachen, die steif in Habtachtstellung standen. Vielleicht bildete Locke es sich nur ein, aber er glaubte zu sehen, dass die Wachen, wenn die Bronzemasken der Allsehenden Augen an ihnen vorbeifegten, eine Miene aufsetzten, die weit über das normale Maß an Respekt hinausging. Ihm blieb keine Zeit zum Grübeln, denn sie hielten unvermittelt vor ihrem offenkundigen Bestimmungsort an. In einem Korridor, in dem sich eine Holztür an die nächste reihte, standen sie vor einer Tür aus Metall.
    Ein Allsehendes Auge trat vor, entriegelte die Tür und stieß sie auf. Dahinter lag ein kleiner, dunkler Raum. Flink lösten die Soldaten die Fesseln um Lockes und Jeans Handgelenke, und dann boxte man sie vorwärts in die winzige Kammer.
    »Heh, Moment mal …«, rief Locke, doch die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, und dann befanden sie sich in totaler Finsternis.
    »Perelandro!«, stöhnte Jean. Er und Locke rempelten sich ein paar Sekunden lang an, ehe sie ihre Balance und Würde halbwegs wiederfanden. »Wie um alles in der Welt konnte es nur dazu kommen, dass wir die Aufmerksamkeit dieser verfluchten Arschlöcher auf uns gelenkt haben?«
    »Keine Ahnung, Jerome.« Locke legte eine leichte Betonung auf das Pseudonym. »Aber vielleicht haben die Wände ja Ohren. Hey, ihr verfluchten Arschlöcher! Stellt euch nicht so dämlich an. Wenn man uns höflich einsperrt, wissen wir uns zu benehmen.«
    Locke stolperte zur nächsten Wand, an deren Lage er sich erinnerte, und hämmerte mit den Fäusten dagegen. Dabei merkte er zum ersten Mal, dass sie aus grobem Ziegelstein bestand. »Verdammt noch mal«, fluchte er und saugte an dem aufgeschürften Knöchel.
    »Seltsam«, murmelte Jean.
    »Was?«
    »Ich bin mir nicht sicher.«
    »Was?«
    »Kommt es mir nur so vor, oder wird es hier drin tatsächlich wärmer?«
    Die Zeit kroch dahin wie in einer schlaflosen Nacht.
    In der Düsternis sah Locke bunte Blitze zucken und farbige Flecken vorbeiwabern, und obwohl ein Teil von ihm wusste, dass diese Phänomene nicht real waren, schwächte sich dieser letzte Rest von Vernunft mit jeder Minute, die verstrich, weiter ab. Die Hitze drückte wie ein Gewicht auf jeden Quadratzoll seiner Haut. Seine Tunika stand weit offen, und er hatte seine Halstücher abgenommen und um seine Hände gewickelt, um sich abstützen zu können, während er sich mit dem Rücken gegen Jean lehnte.
    Als die Tür dann mit einem Klicken aufging, dauerte es ein paar Sekunden, bis er begriff, dass er nicht fantasierte. Der schmale Strich aus weißem Licht vergrößerte sich zu einem Rechteck; Locke zuckte zurück und bedeckte mit den Händen die Augen.
    Die Luft aus dem Korridor wehte ihm entgegen wie eine kühle Herbstbrise.
    »Meine Herren«, sagte eine Stimme hinter dem hellen Rechteck, »es hat ein

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