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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Goldverbrämungen, um selbst im trüben Licht eines wolkenverhangenen Tages zu glitzern, sah Jean tatsächlich aus wie ein Mann von Rang und Bedeutung. Der Mann auf dem Kahn legte Wert darauf, dass seine verbalen Breitseiten keinen Unmut erregten; denn obwohl die Geldsäcke von Tal Verrar, die besitzende Klasse, zum normalen Hafenalltag gehörten, behandelte man sie stets, als könnten sie über dem Wasser schweben, ohne auf die Boote und deren Bedienmannschaften angewiesen zu sein, die sie beförderten. Jean wedelte lässig mit der Hand. »Ich brauch nicht näher zu kommen, um zu wissen, dass du nicht mal mehr auf Halbmast kommst!« Das Mädchen vollführte mit beiden Händen eine rüde Geste. »Ich kann von hier aus sehen, wie enttäuscht deine Kühe gucken!«
    Danach rauschte das Skullboot außer Hörweite einer gebrüllten Antwort; der Kahn fiel achteraus zurück, und vor ihnen wuchs der südwestliche Saum des KunsthandwerkerRings in die Höhe.
    »Dafür kriegt jeder an Bord von mir einen zusätzlichen Silbervolani«, verkündete Jean.
    Während das immer munterer werdende Mädchen und ihre begeisterte Crew Jean zügig zu den Anlegestellen des Rings ruderten, bemerkte er ein paar hundert Yards entfernt zu seiner Linken einen Tumult auf dem Wasser. Ein Frachtleichter, der mit dem Banner irgendeiner Verrari-Gilde beflaggt war, die Jean nicht kannte, wurde von mindestens einem Dutzend kleinerer Boote umringt. Von diesen Booten aus versuchten Männer und Frauen, an Bord des Leichters zu klettern, während die ihnen zahlenmäßig unterlegene Besatzung des größeren Schiffs sie mit Riemen und einer Wasserpumpe daran hindern wollte. Allem Anschein nach näherte sich ein Boot voller Konstabler, doch bis es eintraf, würden noch ein paar Minuten vergehen. »Was zur Hölle ist da los?«, rief Jean dem Mädchen zu.
    »Was? Wo? Ach, das. Das ist die Federkiel-Rebellion, die mal wieder zuschlägt.« »Federkiel-Rebellion?«
    »Die Gilde der Schreiber. Dieser Frachtkahn trägt eine Flagge der Buchdruckergilde. Er muss eine Druckerpresse vom Kunsthandwerker-Ring geladen haben. Haben Sie schon mal eine Druckerpresse gesehen?«
    »Ich habe nur davon gehört. Zum ersten Mal vor ein paar Monaten, um genau zu sein.«
    »Die Schreiber sind gegen diese Erfindung. Sie glauben, dadurch würden sie ihre Arbeit verlieren. Deshalb legen sie sich auf die Lauer und warten, bis die Buchdrucker versuchen, eine Presse über die Bucht zu schmuggeln. Mittlerweile müssten an die sechs oder sieben dieser Dinger auf dem Meeresboden liegen. Zusammen mit ein paar Leichen. Das ist eine sehr, sehr traurige Geschichte, wenn Sie mich fragen.«
    »Ich neige dazu, dir recht zu geben.«
    »Tja, hoffentlich erfinden die nichts, das eine gute Mannschaft ehrlicher Rudergasten ersetzt. Das ist Ihr Anleger, Sir, wir sind ein bisschen vor der Zeit da, wenn ich mich nicht irre. Möchten Sie, dass wir auf Sie warten?«
    »Auf jeden Fall«, betonte Jean. »Amüsante Helfer sind so schwer zu finden. Ich denke, in einer knappen Stunde werde ich zurück sein.«
    »Dann stehen wir Ihnen zu Diensten, Meister de Ferra.«

2
     
     
    Der Ring war nicht ausschließlich der Großen Gilde der Kunsthandwerker vorbehalten, doch die meisten Angehörigen dieser Zunft ließen sich dort nieder; hier fand man buchstäblich an jeder Straßenecke ihre privaten Treffpunkte und Clubs, und in diesem Bezirk wurde ihre Sitte, rätselhafte und gelegentlich gefährliche Apparaturen öffentlich aufzustellen, am ehesten toleriert.
    Jean stieg die steilen Stufen der Allee des Messing-Basilisken hoch, vorbei an Kerzenverkäufern, Messerschleifern und Veniparsifizierern (Mystiker, die behaupteten, das gesamte Schicksal eines Menschen aus dem Muster der Blutgefäße, die auf seinen Händen und Unterarmen sichtbar waren, vorhersehen zu können). An der Spitze der Allee wich er einer schlanken jungen Frau mit Hut und Sonnenschleier aus, die an einer kräftigen Lederleine eine valcona spazieren führte. Valconas waren flugunfähige, angriffslustige Kampfvögel, größer als Jagdhunde. Die Stummelflügel an ihre muskulösen Körper zurückgeklappt, hüpften sie auf Klauen umher, die faustgroße Fleischbrocken aus einem Menschen reißen konnten. Wie liebebedürftige Babys banden sie sich an eine einzige Bezugsperson, und hätten dann mit Vergnügen alle anderen Menschen umgebracht – jederzeit und überall.
    »Gutes Killer-Vögelchen«, murmelte Jean. »Du kannst einen Menschen in Stücke reißen.

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