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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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oder wortlos angestaunt, obwohl nichts mehr an die berühmte Sängerin Aletta Lornsenerinnerte, die sich, als sie auf Sylt ankam, Gedanken über den Federputz an ihren Hüten gemacht hatte.
    »Wie läuft es mit Insa und dir?«, fragte der Pfarrer. »Vertragt ihr euch?«
    Über Alettas Gesicht ging ein Lächeln. »Es wird von Tag zu Tag besser.«
    Frerich war überrascht. »Tatsächlich? Ihr redet miteinander? Das freut mich. Hat Insa dir ... irgendwas erzählt? Von früher ...?«
    Aletta sah ihn an und blickte wie in ein verschlossenes Fenster, das einen winzigen Spalt geöffnet worden war. »Was könnte sie mir erzählen? Ein Geheimnis?«
    Pfarrer Frerich antwortete nicht. Der winzige Spalt des Fensters wurde geschlossen, sein Gesicht wies wieder die routinierte Teilnahme auf, die er sich in vielen Jahren seelsorgerischer Arbeit angeeignet hatte. Insas Stimme, die ihr beim Anblick des »Miramar« Tröstendes und Stärkendes zugeflüstert hatte, verstummte.
    »Was wissen Sie von meiner Mutter?«
    »Das, was alle wissen«, antwortete Frerich so prompt, als hätte er sich diese Antwort schon vor längerer Zeit zurechtgelegt. »Sie war eine rechtschaffene Frau.«
    Langatmig, wie es seine Art war, berichtete er Aletta, wie sehr er ihre Mutter geschätzt habe, fügte ein paar Ereignisse an, an die er sich gern erinnerte, und wollte mit salbungsvollen Worten schließen.
    Doch Aletta unterbrach ihn: »Kannten Sie den Vater von Reik Martensen genauso gut?«
    Sie waren an der Maybachstraße angekommen, und der Pfarrer blieb stehen, als wollte er zunächst ein Pferdefuhrwerk vorbeilassen, das aber noch weit entfernt war. »Warum fragst du nach ihm?«
    »Kannte meine Mutter ihn? Ich meine ... kannte sie ihn gut?«
    Pfarrer Frerich betrachtete sie, als wollte er einerseits hinter den Sinn ihrer Frage kommen, sie aber andererseits lieber nichtverstehen. »Zwischen den Familien Martensen und Lornsen bestand kein gutes Einvernehmen«, sagte er dann.
    »Wegen der Weide? Oder gab es noch andere Gründe?«
    Der Pfarrer zuckte die Achseln. »Ich kann mich nicht erinnern.«
    Das Fuhrwerk war vorüber, sie überquerten die Straße.
    »Der alte Martensen war ein schwieriger Mensch«, fuhr der Pfarrer vorsichtig fort. »In seiner Ehe stand es nicht zum Besten. Einmal hat er seinen Geflügelhof im Stich gelassen – für ein ganzes Jahr – und ist zur See gefahren. Dass seine Frau damals schon schwerkrank war, wusste er allerdings nicht. Sie hat versucht, den Hof über Wasser zu halten, mit Hilfe ihres Ältesten und mit einigen Gelegenheitsarbeitern, aber man konnte zusehen, wie ihre Kräfte schwanden. Auch Reik musste mit anpacken, obwohl er schon seine Bäckerlehre begonnen hatte. Und natürlich wollte er seine freie Zeit eigentlich lieber mit deiner Schwester verbringen ...«
    Aletta blieb stehen, was der Pfarrer erst bemerkte, als er schon einige Meter weitergegangen war. Irritiert blickte er sich nach ihr um. Daraufhin schloss Aletta den Abstand zwischen ihnen mit ein paar eiligen Schritten wieder.
    »Das war in dem Jahr, als Insa in Reik verliebt war?«, fragte sie atemlos. »Also in dem Jahr vor meiner Geburt?«
    Der Pfarrer sah sie erstaunt an. »Warum fragst du?«
    »Reiks Vater war ein Jahr auf See? Oder vielleicht nur ein halbes Jahr? Ein Dreivierteljahr?«
    Der Pfarrer wurde ärgerlich. »Ein Jahr und drei Monate, um genau zu sein. Noch vor dem ersten Advent war er gegangen, und zum übernächsten Biikebrennen kehrte er zurück. Plötzlich stand er wieder zwischen seinen Gänsen. Sogar viel Geld brachte er mit. Aber Glück hat es ihm nicht gebracht. Seine Frau fand er sterbend vor, und sein ältester Sohn war gerade tödlich verunglückt.«
    Aletta griff aufgeregt nach Frerichs Arm. »Als meine Mutterdie Verwandten in Hamburg besuchte ... als sie mit mir schwanger war ... da hatte sie Reiks Vater seit einem Jahr nicht gesehen?«
    Der Pfarrer weigerte sich, die zeitlichen Angaben zu überprüfen. »Mein Kind! Was geht in deinem Kopf vor?«
    Er ging weiter, legte die Handflächen ineinander, als könnte sein schwarzer Anzug mit dem Beffchen, diesem weißen Kragen der Kirchenmänner, nicht ausreichen, der Welt zu beweisen, dass er zu den geistlichen Herren gehörte. »Du solltest die Vergangenheit ruhen lassen, mein Kind. Versuch, mit deiner Schwester auszukommen, ihr habt ja nur noch einander.«
    Aletta spürte den Zorn in sich, wie sie vorher das Glück über die neue Nähe zu Insa gespürt hatte. Und die Frömmigkeit, die der

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