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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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stellte den Buttertopf in die Vorratskammer und schraubte die Marmeladengläser zu.
    »Hätte ich von Mutters Tod etwas erfahren?«
    »Komm morgen früh noch mal wieder«, wich Insa aus und ging in den Garten, wo sie sich über die Kräuterbeete beugte. Deutlicher hätte eine Abfuhr nicht sein können.
    Aletta trat auf den Flur zurück und lauschte. Die Stimmen aus dem Wohnzimmer waren nicht mehr zu hören, es herrschte Stille im Haus. Vorsichtig stieg sie die Treppe in die erste Etage hinauf. Noch immer knarrten die beiden letzten Stufen, und noch immer roch es auf dem Treppenabsatz nach der Kamillenlotion, mit der ihre Mutter sich jeden Abend die Brust einzureiben pflegte. Aletta machte einen Schritt auf die Schlafzimmertür zu, hinter der ihre Mutter liegen musste, aber dann stockte sie und blieb vor der Tür stehen, hinter der sie achtzehn Jahre ihres Lebens jede Nacht verbracht hatte. Eine winzige Kammer, in die gerade ein Bett und ein schmaler Schrank gepasst hatten. Wie mochte es dort jetzt aussehen?
    Vorsichtig bewegte sie die Klinke nach unten, sie quietschte noch so wie damals. Aber die Tür war verschlossen. Was mochte sich heute dahinter verbergen? Der Schlafplatz für einen Feriengast? Oder war das kleine Zimmer verschlossen worden, um sie,die jüngste Tochter, die aus dem Elternhaus geflohen war, vom Leben der Familie auszuschließen?
    Aletta zögerte, ehe sie die Klinke der Schlafzimmertür herunterdrückte. Dann aber schob sie die Tür vorsichtig auf. Nur einen Spaltbreit, aber schon drang ihr ein Geruch entgegen, der neu war. Ihn hatte es früher nicht gegeben! Krankheit, Siechtum, Tod! Ein säuerlicher Geruch, der in der Wärme des Zimmers scharf und schneidend geworden war. Aletta hielt unwillkürlich den Atem an, als sie den Raum betrat.
    Das breite Ehebett stand nicht mehr in der Mitte des Zimmers, so dass es von jeder Seite zu besteigen war, es war ans Fenster gerückt worden. Vermutlich nach Vaters Tod, seit ihre Mutter allein in diesem Bett schlief. Damit war Platz gewonnen worden, den Insa wohl brauchte, wenn sie die kranke Mutter versorgen musste.
    Aletta kam vorsichtig näher, machte einen langen Hals, schließlich nahm sie die schmale Gestalt wahr, die in den hohen, weichen Kissen lag. Gleich drei davon hatte Insa unter den Kopf ihrer Mutter geschoben und den Oberkörper damit angehoben, aber das Federbett war so dick, dass Witta Lornsens Gesicht dennoch kaum zu sehen war.
    Wie winzig es geworden war! Die Nase ganz spitz, das Kinn klein und schmächtig, der Mund eingefallen. Die Gesichtshaut, die aussah, als wäre sie ihr zu weit geworden, war fahl und schweißglänzend, die geschlossenen Lider schimmerten bläulich. Vor zehn Jahren hatte es in ihrem Haar nur einzelne graue Strähnen gegeben, jetzt war das Haar der Mutter schlohweiß.
    Aletta hatte die erste ungestüme Scheu überwunden und legte vorsichtig die Hand auf die Stirn ihrer Mutter. Heiß war sie, heiß und feucht. Sie hatte Fieber, keine Frage. War es richtig, dass Insa sie so warm hielt? Aletta hätte am liebsten das Federbett angehoben, aber sie wagte es nicht. Insa würde schon wissen, was richtig war. Sie, die jüngste Tochter, die sich seit zehn Jahren nicht hatte blicken lassen, durfte nicht gleich in den ersten Minuten ihrerRückkehr kritisieren, was Insa getan hatte, die die ganze Verantwortung bis jetzt allein hatte tragen müssen.
    Witta Lornsens Lider begannen zu flattern, Aletta griff aufgeregt nach ihrer Hand und beugte sich über sie. »Mutter?«
    Sie sah, welche Anstrengung es sie kostete, aber schließlich öffnete ihre Mutter tatsächlich die Augen, als hätte sie Alettas Anwesenheit gespürt.
    »Mutter, ich bin’s!« Aletta hatte Mühe zu flüstern. Ein Schluchzen steckte in ihrer Kehle, das laut herauswollte. »Erkennst du mich?«
    Ein winziges Lächeln huschte über Wittas Gesicht, so flüchtig wie ihr flacher Atem. Nun aber schöpfte sie tiefer Luft, begann zu keuchen, spannte ihren Brustkorb an, als wollte sie sich aufrichten. Die Anstrengung wischte das kurze Lächeln fort, in ihrem Gesicht stand nur eine einzige Qual.
    Erschrocken legte Aletta die Hand auf ihre Stirn und drückte ihren Kopf nieder. »Pscht, ganz ruhig.«
    Prompt entspannte sich die Kranke, erschöpft schloss sie die Augen wieder. Aber als sie spürte, dass Aletta sich an ihre Seite setzte, öffnete sie die Augen wieder. Ungläubiges Staunen trat in ihren Blick, als sie Aletta betrachtete. »Bist du gekommen, weil ...« Der Husten

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