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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Schwester zu schreiben.Sie sollte wissen, dass es nach dem Krieg eine Hochzeit geben würde. Und auch Insa musste es erfahren ...
    Sie traf ihre Schwester in der Küche an, aber sie war nicht allein. Eine Frau saß neben ihr am Tisch, die Aletta bekannt vorkam. Dieses flächige Gesicht, die glatten braunen Haare, den runden Rücken, der den Hals zwischen den Schultern verschwinden ließ, hatte sie nach ihrer Rückkehr nach Sylt schon einmal gesehen. Aber es fiel ihr nicht ein, wo ihr diese Frau begegnet war.
    »Frauke Lützen will für dich Mutters Kleider ändern«, erklärte Insa.
    Die Frau sah auf, ihre kleinen, dunklen Augen stachen in Alettas Gesicht, wurden größer und sogar staunend. Sie lächelte wissend und auch ein wenig geringschätzig. Beides konnte Aletta sich nicht erklären.
    Sie reichte Frauke Lützen die Hand, die sich erhoben hatte und damit verriet, wie klein sie war. Daran war vor allem eine verkrümmte Wirbelsäule schuld, die verhinderte, dass sie ihren Kopf heben und sich aufrichten konnte. Aletta musste sich zwingen, Sympathie für Frauke Lützen aufzubringen. Schließlich konnte diese nichts dafür, dass sie nicht in der Lage war, ihrem Gegenüber gerade in die Augen zu blicken, und zu diesem unterwürfigen Blick gezwungen war, der eigentlich alles andere als unterwürfig war. Das merkte Aletta bald.
    Frauke Lützen hatte ein Maßband um den Hals hängen und auf ihrem linken Handgelenk mit einer Spange ein Nadelkissen befestigt, das voller Stecknadeln saß. Aus ihrer Schürzentasche holte sie ein Stück Schneiderkreide, dann forderte sie Aletta auf, die beiden Kleider ihrer Mutter zu holen und anzuprobieren. Während sie mit Stecknadeln die Abnäher feststeckte, die sie den Kleidern verpassen wollte, fiel Aletta plötzlich ein, wo sie Frauke Lützen schon einmal gesehen hatte.
    Sie sprach Insa sofort darauf an, nachdem die Näherin das Haus verlassen hatte. »Als der Kutscher des ›Miramar‹ mich hierabsetzte, habe ich sie gesehen. Und er hat eine sehr merkwürdige Bemerkung gemacht. Frauke Lützen wäre eine der wenigen, die vom Krieg profitieren könnten! Denn keine Frau wolle im Krieg ein Kind zur Welt bringen.« Sie schloss das Oberteil ihres Kleides mit den vielen winzigen Perlmuttknöpfen, was viel Zeit in Anspruch nahm und was sie bisher immer ein Dienstmädchen hatte erledigen lassen. »Das hörte sich an, als wäre Frauke Lützen eine Engelmacherin.«
    Sie war auf Insas Protest gefasst gewesen, aber ihre Schwester zuckte nur die Schultern. »Jemand muss sich auch darum kümmern, dass keine ungewollten Kinder geboren werden.«
    Aletta sah überrascht auf. »Findest du das in Ordnung?«
    »Besser jedenfalls, als ein Kind zur Welt zu bringen, das niemand will. Denk an Sönke. Seine Mutter hat ihn nicht haben wollen. Er ist sein Leben lang herumgeschubst worden. Besser, er wäre gar nicht zur Welt gekommen!«
    »Dann ist die Nähwerkstatt von Frauke Lützen nur eine Tarnung ihres eigentlichen Berufes?«
    »Sie arbeitet wirklich als Näherin.« Insa goss einen Tee auf und forderte Aletta mit einer Geste auf, sich zu ihr zu setzen. Aletta, die noch immer überwältigt war, wenn sie von ihrer Schwester irgendeine Art von Zuwendung erfuhr, ließ sich ohne weiteres auf einem Stuhl nieder.
    »Erinnerst du dich an Kaiken Hollander?«, fragte Insa.
    Aletta wagte nicht, den Kopf zu schütteln, aber Insas Stimme klang versöhnlich, als sie die Frage selbst beantwortete: »Wohl kaum. Kaiken wohnte sehr weit draußen, näher an Wenningstedt als an Westerland. Fraukes Tante, die Schwester ihres Vaters, war früh Witwe geworden, kaum dass sie schwanger war, und musste ihren Sohn als Halmreeperin durchbringen. Woher sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten hatte, weiß ich nicht, aber später ging es ihr besser, als sie vielen Frauen geholfen hat, die ungewollt schwanger geworden waren. Fraukes Mutter ist früh gestorben, Kaiken Hollander zog daraufhin zu ihrer Nichte indas kleine Haus mit der Nähwerkstatt. Da hat Frauke gelernt, was eine Engelmacherin zu tun hat. Und als Kaiken starb, sind die Frauen, die in Not waren, zu ihr gegangen. Auch Sommerfrischlerinnen, habe ich gehört. Mittlerweile wissen die meisten, welchem Gewerbe Frauke nachgeht, aber ihre Nähwerkstatt behält sie trotzdem.«
    »Abtreibung steht unter Strafe!«
    »Wo kein Kläger ist, ist kein Richter«, erwiderte Insa.
    »Kennst du sie gut?«, fragte Aletta. »Bist du mit ihr befreundet?«
    Aber Insa wehrte empört ab. »Kein Mensch

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