Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
besser gehen als denen, die an die Front müssen.«
    Aletta wollte Sönke nicht verteidigen und schwieg. Es gab ja nichts, womit seine Flucht zu entschuldigen war. Jedenfalls nichts, was für Emme zu einer Erklärung geworden wäre.
    Mit einem Abstand von hundert Schritten sahen sie zu, wie militärischer Nachschub aus der Inselbahn gehoben wurde. Viele Leiterwagen standen bereit, die Baumaterialien und Munition in das unwegsame Dünengelände transportieren sollten, wo es noch keine militärischen Unterkünfte gab und nur wenige Privathäuser zur Verfügung standen. In List, in der Vogelkoje, im Klappholttal, in Rantum und Hörnum sollten Barackenlager errichtet werden. Und da der Südbahnhof noch nicht an das übrige Schienennetz der Insel angeschlossen war, musste die Lücke mit Pferdetransporten geschlossen werden.
    Erst als Ruhe auf dem Bahnhof eingekehrt war, als die meisten Leiterwagen den Bahnhof verlassen hatten, öffnete sich eine letzte Tür. Nun kam Leben in Jorit. Er lief auf die Waggontür zu und half dabei, die Trage herauszuheben, auf der seine Frau lag. Aber die beiden Bahnangestellten wehrten ihn ab, so dass er nichts beitragen konnte zu Tommas Ankunft. Aletta sah, wie er mit hängenden Armen neben der Trage stand und auf seine Frau hinabsah. Schließlich beugte er sich hinunter, um ihre Stirn zu küssen. Aletta konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Ihr ganzer Körper war in Decken eingewickelt, ein paar dunkle Haare waren das Einzige, was von Tomma zu sehen war. Nun setzten sich die beiden Träger in Bewegung und gingen auf Jorits Leiterwagen zu. Er half einer älteren Frau aus dem Zug, der ein Mann folgte, der mit einem elastischen Sprung auf dem Bahnsteig landete. Jorit küsste der Frau die Hand und ließ sich von dem Mann kumpelhaft die Schultern klopfen. Dann folgten Tommas Eltern der Trage ihrer Tochter, die soeben auf den Leiterwagen gehoben wurde.
    »Willst du Tommas Eltern nicht begrüßen?«, fragte Aletta.
    Aber Emme schüttelte den Kopf. »Das hat Zeit.«
    In diesem Augenblick änderte sich etwas auf dem Bahnsteig. Ein Ruck ging durch die Menschen, als ein Ruf ertönte und eine Kutsche auf die Inselbahn zufuhr. Sie wurde von einem Soldaten gelenkt, dem es offenbar darauf ankam, durch besonders rabiateFahrweise zu zeigen, dass er einen wichtigen Menschen zu befördern hatte.
    Der Mann in der Uniform eines Obersts sah nicht so aus, als käme ihm die Einstellung seines Fahrers entgegen. Er runzelte ärgerlich die Stirn, als die Kutsche hielt, und stieg aus, bevor sein Untergebener vom Bock springen und die Tür öffnen konnte. Es sah so aus, als wollte Oberst von Rode den Kutscher damit für seine Fahrweise bestrafen.
    Er sah sich nicht lange um, sondern lief zu Jorits Leiterwagen, wo Tommas Eltern sich gerade daran machten, ihn zu besteigen, um mit ihrer Tochter gemeinsam ins »Hotel Lauritzen« zu fahren.
    Ein Ruf des Obersts hielt sie zurück. Aletta konnte seine Worte nicht verstehen, aber sie sah, dass sich kurz darauf alte Bekannte begrüßten, die sich herzlich umarmten. Dann wies der Oberst zu seiner Kutsche und führte Jorits Schwiegereltern von dem Leiterwagen weg. Dass Jorit salutierte, nahm er nicht zur Kenntnis, genauso wenig wie die stramme Haltung seines Fahrers. Als Tommas Eltern eingestiegen waren, gab er dem Mann ein paar kurze Anweisungen, bevor er sich dem Ehepaar gegenübersetzte. Gemächlich rollte die Kutsche nun vom Bahnsteig, gefolgt von Jorits Leiterwagen, der sich langsam, sehr langsam in Bewegung setzte. Jorit verhinderte jede Erschütterung und konzentrierte sich auf den Weg, damit er von keinem Stein, keinem Schlagloch überrascht wurde. Trotzdem entdeckte er Aletta. Sie sah, dass seine Augen mit einem Mal unruhig wurden, als spürte er ihren Blick auf sich gerichtet. Sie huschten umher und blieben schließlich an ihr hängen. Dass seine Schwester Emme neben ihr stand, schien er nicht zu bemerken. Er lächelte Aletta zu, dann fuhr er einen großen Bogen, und sie konnte ihn von da an nur noch von hinten sehen. Nur wenige Meter, dann war der Wagen in der Maybachstraße verschwunden, wo die Kutsche des Obersts schon längst nicht mehr zu sehen war.
    »Sie sind alte Freunde«, erklärte Emme. »Maike und OckePeters kennen Oberst von Rode schon lange. Es ist ihnen nicht recht, dass Jorit keinen hohen militärischen Rang bekleidet.«
    »Er ist Hotelbesitzer«, erwiderte Aletta, legte eine Hand auf ihren Bauch und war kurz in Versuchung, Emme von ihrer Schwangerschaft zu

Weitere Kostenlose Bücher