Sturmauge
des
Halbschlafs trieb, spürte sie einen schrecklichen Verlust, ein Loch in ihr, das sie an etwas erinnerte, das einfach zu schrecklich war, um auch nur daran zu denken.
Bei einem unwillkürlichen Zucken in ihrem Bein machte sich der Schmerz in ihrer Seite plötzlich wieder heiß und stechend bemerkbar. Ihre Lippen lösten sich klebrig voneinander, als sie stöhnte. Das Klingen ihrer Ohren wurde eindringlicher. Um ihren Kopf lag etwas Stacheliges und grub sich feucht und stechend in ihren Nacken. Legana lag eine Weile reglos da, unfähig, ihr eigenes Wimmern zu hören, bis der Schmerz in ihrer Seite etwas nachließ und sie es wagte, einen Blick auf das Land zu werfen.
Es fiel ihr schwer, die Augen zu öffnen. Das erschien ihr wie eine lang vergessene Bewegung, für die sie all ihre Willensstärke aufbieten musste, und als es ihr schließlich gelang, sah sie kaum etwas, nur dunkle, gelbe Schlieren und die Andeutung von etwas, das ein Zimmer sein mochte.
Sie atmete zu tief ein, was ihr ein neuerliches Stöhnen entlockte, und Angst flackerte in ihrem Herzen auf. Der Schmerz war dabei nebensächlich. Was sie in Furcht versetzte, war, dass sie weder ihren Atem noch ihr Stöhnen hörte, obwohl sie die Luft durch ihre wunden Lippen strömen spürte.
Das verschwommene Bild änderte sich mit einem Mal, da eine dunkle Gestalt in ihr Blickfeld trat. Sie wurde zu einem Mann, einem Priester mit Tonsur, der sich über sie lehnte. Das Bild blieb jedoch vage, und sie bekam Kopfschmerzen, wenn sie versuchte, Einzelheiten seines Gesichts zu sehen. Sein Bart bewegte sich zwar, doch sie hörte noch immer nichts. Angsterfüllt versuchte sie sich aufzusetzen, aber eine Welle der Übelkeit erfasste sie und sie fiel schmerzhaft zurück, wobei die Tränen so freimütig ihre Wangen hinabströmten, wie seit ihrer Kindheit nicht mehr.
Der Priester legte ihr die Hände auf die Schultern, um ihr zu bedeuten, still liegen zu bleiben, dann hob er ihren Kopf vorsichtig
an und legte ihr ein nasses Tuch an den Mund. Einige köstliche Wassertropfen rannen durch ihre Lippen, und Legana nahm all ihre Kraft zusammen, um sie zu schlucken. Er drückte den Lappen zusammen und noch mehr Wasser lief auf ihre Zunge – irgendwie brachte sie auch dieses hinunter, aber mehr schaffte sie beim besten Willen nicht. Sie sank in seine stützende Hand zurück.
Der Priester nickte zufrieden und legte das Tuch irgendwo ab. Sie konnte nicht sehen, wohin. Dann legte er eine Hand auf ihre Brust. Seine Lippen bewegten sich, und Leganas Sicht verschwamm wieder stärker, als sich eine Wärme in ihr ausbreitete. Das Gefühl war fremdartig und beunruhigend, aber etwas in ihrem Innern erkannte es als Heilmagie. Der Teil von ihr, der von einer Göttin berührt worden war, schrie aus Angst vor der Magie eines anderen Gottes, aber die menschliche Seite gewann die Oberhand, und sie versank wieder in einer Ohnmacht. Der Schmerz trat weit genug in den Hintergrund, dass sie sogar in den Schlaf fiel. Einige Augenblicke später spürte sie gar nichts mehr.
Byoras Gebäude wurden von einem stetigen Regen benetzt, der dunkle Tränenspüren über die Wände zog und die Rinnsteine mit schnell strömendem, schmutzigem Wasser füllte. Die Herzogin von Byora beachtete den auf ihre Kapuze prasselnden Regen nicht weiter und sah ihm zehn Minuten oder länger zu, statt ihrem Pferd die Hacken in die Seite zu drücken und die Straße weiterzureiten.
»Denkt Ihr nicht auch, dass dieser Regen die Gemüter abkühlen wird, Sir Arite?«, fragte sie schließlich.
Der blonde Mann antwortete mit einem angedeuteten Nicken. Ihm schien größere Sorgen zu machen, was der Regen mit seinen Stiefeln anrichtete, als der Zustand der Stadt. Der Herzog lächelte
seine Frau liebevoll an und schaffte es recht gut, seine Anspannung vor allen außer Natai zu verbergen, der er am meisten Zuversicht schenken wollte.
Sie lächelte zurück und freute sich darüber, dass er sich Mühe gab, auch wenn sein Verhalten sehr durchschaubar war. Er war der Einzige gewesen, der ihr diese Reise nicht auszureden versucht hatte, der seine eigene Sicherheit hintanstellte, weil er die Notwendigkeit des Ganzen erkannte.
Die Herzogin befand sich seit den schrecklichen Ereignissen im Tempelviertel am letzten Morgen zum ersten Mal wieder außerhalb ihres Palastes. Sie machte sich keine Sorge wegen der Pönitenten, die angeblich in wütenden Mengen durch die Straße zogen. Davon würde sie sich nicht einschüchtern lassen. Der
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