Sturmauge
Blick des Haushofmeisters blitzte bei diesem Befehl auf, aber er verneigte sich und zog sich wortlos zurück. Isak wollte seinen ungewöhnlichen Leibwächter immer beschützen. Lesarl hatte nun eingesehen, dass er Mihn niemals als seinen Spion gewinnen konnte, und vermied darum jeden Streit in dieser Frage.
»Nur ein weiteres Hautbild«, antwortete Mihn etwas unbehaglich, nachdem Lesarl die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Wie die auf deinen Händen?«
»Ganz recht, mein Lord.«
»Was zeigen sie?«, fragte Isak.
»Blätter, mehr nicht.« Mihn ging zum Schreibtisch und drehte den Kopf, um das Buch zu betrachten, in dem Isak gelesen hatte.
»Die letzten Tage der Dunkelheit«, sagte Isak. »Geschichten vom Ende des Zeitalters der Dunkelheit.«
»In letzter Zeit ist Eure Lektüre stets etwas morbide, scheint mir«, merkte Mihn an.
»Du hast mich doch erst drauf gebracht«, wandte Isak ein. »Du hast mir gesagt, ich solle alles an mir anerkennen, einschließlich meiner Träume vom Tod. Und wenn ich etwas anerkennen soll, dann muss ich auch darüber Bescheid wissen. Ich …« Isak zögerte. »Ich bin nicht sicher, wonach ich suche, aber ich muss wissen, was diese Träume bedeuten.«
»Dann solltet Ihr Euch Kardinal Jeshers Gleichnisse ansehen, vor allem das mit dem Namen ›Der Geldverleiher‹. Es ist die Geschichte eines Geldverleihers, der stirbt, aber so von seinem Geschäft besessen ist, dass sein Geist auch nach dem Tod noch bei seinen Schuldnern vorbeischaut, um die Schulden einzutreiben.«
»Klingt, als hättest du mir gerade die Überraschung genommen, aber ich werde es mir wohl trotzdem mal ansehen.«
Mihn lächelte. »Jesher war zu seiner Zeit ein angesehener Theologe, seine Gleichnisse halten tiefgründige Einsichten bereit. Seine Arbeit wird Euch bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Tod ausgezeichnete Dienste leisten. Vielleicht befasst Ihr Euch auch mit einem Theaterstück der Menin mit dem Titel Das Sternengas. Ihr werdet die Vortragsform der Menin unterhaltsam finden, die Figur des Propheten Dirik ist hervorragend beschrieben, wenn auch fehlerhaft.«
»Das habe ich – glaube ich – schon mal gehört. Betet er nicht jeden Morgen um den Tod?«
Mihn hob die Brauen. »Ich bin beeindruckt, mein Lord. Dirik betete um den Tod, um sich von der Last des Prophezeiens zu befreien.«
Das Weißauge grinste. »Sei nicht allzu beeindruckt. Ich erinnere mich nur daran, dass Tila sagte, ich würde dafür sorgen, dass sie manchmal für Dirik betet. Ich habe diese Anspielung nicht verstanden, darum ließ ich sie mir von ihr erklären.« Er schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Verdammt! Ich habe beinahe vergessen, warum ich mit dir sprechen wollte!«
»Der Haushofmeister wartet«, erinnerte ihn Mihn.
Isak stöhnte gedehnt auf. »Gut, du gewinnst. Aber sag mir, was das mit den Hautbildern soll. Du musst sie mir nicht zeigen, aber erzähl mir davon. Ich werde glauben, was du mir sagst.«
Mihn zögerte. Seine mandelförmigen Augen wurden schmal, und er blickte kurz auf seine Hände. »Nun gut, mein Lord«, fing er langsam an. »Ihr habt Euch Sorgen um meine Sicherheit gemacht, darum habe ich die Hexe gebeten, mir Ebereschen- und Haselnussstrauchblätter auf die Arme zu stechen. Beide Hölzer schützen vor einer ganzen Reihe von übernatürlichen Einflüssen. Sie hat die Tinte aus dem Harz dieser Pflanzen hergestellt und jedes Blatt mit einem Schutzzauber belegt. Ihre Magie ist nicht sonderlich mächtig, aber ich bin auch kein Mann, der die Macht sucht. Ich glaube, ihre zurückhaltende Kunst wird meine Fähigkeiten ergänzen, so dass ich so sicher sein werde, wie ein Mann nur sein kann.«
»Eberesche und Haselnuss, hm? Nun gut, danke.« Er blickte auf den Schreibtisch und schlug nach einem Augenblick das Buch zu. »Ich denke, für heute Abend habe ich genug gelesen. Geh und hilf Xeliath. Wahrscheinlich ist sie mittlerweile auf dem Weg hinab zum Übungsplatz, obwohl da verdammter Schnee liegt. Ich komme nach, sobald ich mit Lesarl fertig bin.«
Die Züge des Haushofmeisters wirkten seit einiger Zeit stets sorgenvoll, und auch heute machten sie keine Ausnahme. Tila hatte ihm berichtet, wie hart Lesarl zurzeit arbeitete. Er schlief kaum drei Stunden pro Nacht und verbrachte große Teile des Tages damit, von einem Viertel der Stadt zum nächsten zu reiten.
Die Kleriker dachten sich jeden Tag ein neues Problem aus, bei dem sie die Autorität der Magistrate, Richter und der Palastwache
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