Sturmauge
Schmerz ebenso.
»Ah, ihr Götter in der Höhe!«, keuchte Mihn, als Isak den Daumen mit gebleckten Zähnen in der Wunde drehte.
»Na, gefällt dir das?«
»Oh, nein, au! Nein!« Mihn presste die Hand auf seine Brust, denn der Widerhall von Isaks Wunde wurde verstärkt, weil seine Verbrennung noch wund war.
»Nimm zurück, was du gerade über die Sonne sagtest.«
»Ihr Götter, Ihr seid wirklich gemein«, zischte Mihn und stöhnte auf, als Isak den Daumen erneut drehte. »Au! Ja, ja, ich nehme es zurück!«
Isak fletschte die Zähne zu einem spöttischen Grinsen und senkte die Hand. »Gut, und jetzt halt die Klappe und genieß die Aussicht.«
Mihn krümmte sich, als der Druck von der Verbrennung wich und der Schmerz zu einem heißen Pochen wurde. Dann richtete er sich wieder auf und überging die fragenden Blicke von Isaks Leibwachen, die um den Steinblock herumstanden.
»Wenigstens habe ich Euch ein Lächeln auf die Lippen gezaubert, bevor Ihr mit den Priestern sprecht«, murmelte er, wandte sich von dem gereizten Schläger ab und betrachtete die Soldatenreihen vor sich.
An der Nordseite des Aderlassplatzes lag der Nartisschrein, der einzige Teil des Platzes, der noch dem ursprünglichen Zweck diente. Die prächtigen Häuser, die den Platz umringten, waren über die Jahre erheblich umgebaut worden. Die meisten davon beherbergten jetzt Arbeiterfamilien.
Vier zehn Schritt messende Plattformen, jede so hoch wie ein Weißauge, bestimmten den Platz. Sie nahmen den Großteil des nordöstlichen Bereichs ein, ließen aber genug Platz, dass sich mehrere tausend Mann auf dem übrigen Platz versammeln konnten.
Unter der Herrschaft von Lord Atro, Lord Bahls Vorgänger, hatte ein reicher Adliger einen großen Tempelkomplex geplant, der am Südtor der Stadt stehen sollte. Der Adlige war gestorben,
bevor seine Pläne vollendet werden konnten, und sein Sohn hatte das Vorhaben, das seine Familie zu ruinieren drohte, sofort abgebrochen. Aber der Bereich am Tor war bereits eingeebnet worden und die Arbeiten am größten Tempel waren schon im Gange. Da freie Fläche innerhalb der Stadt wertvoll war, hatte Lord Atros Haushofmeister den Platz kurz darauf aufgekauft, ihn lachend Aderlassplatz genannt und dort den Hauptviehmarkt der Stadt eingerichtet.
Mihn sah zu, wie die Offiziere erste Befehle gaben und sich aus der Menge erkennbare Truppenformationen schälten. Isaks Leibwache war nervös, und das nicht ohne Grund. Vor ihnen versammelte sich gerade ein erheblicher Teil der religiösen Truppen der Stadt. Bisher hatten sich die Söldner friedlich verhalten, aber Mihn wusste, wie schnell die Stimmung kippen konnte. Soldaten wurden für den Kampf ausgebildet, wobei eine der ersten Lektionen lautete: Wer zuletzt handelt, stirbt. Von dort war es nur ein kleiner Schritt, bis man dem Feind zuvorkommen und zuerst zustechen wollte.
»Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt Farlan bin«, sagte Isak unvermittelt. »Ihre Fähigkeit zur Heuchelei kennt keine Grenzen.«
Mihn wandte sich ihm mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
Isak drückte die Finger auf seine Nasenwurzel, um die Kopfschmerzen zu lindern, und erklärte dann: »Nachdem nun wochenlang praktisch Bürgerkrieg geherrscht hat und die Gesetze, die die Zuständigkeiten der Bürgerschaft, des Heers und der Kulte regeln, so umfassend gebrochen wurden, dass man die einzelnen Verbrechen gar nicht mehr auseinanderhalten kann, besitzen die Kleriker immer noch die Dreistigkeit, so zu tun, als wäre dies alles hier etwas Neues für ihre Pönitenten.« Er zeigte auf die geordneten Reihen.
»Es verblüfft mich, dass sie vorgeben können, sie hätten Tausende
von Männern über Nacht in einsatzbereite Militäreinheiten verwandelt. Und ebenso erstaunlich finde ich, dass es keine Widerworte gab. Plötzlich ist alles wieder beim Alten, man hält sich peinlichst genau an die Traditionen, und die Kulte erbitten in aller Form meinen Segen für ihren Kreuzzug. Sie tun so sanft wie die Lämmer, jetzt, da sie glauben, sie hätten ihr Ziel erreicht.«
»Habt Ihr denn etwas anderes erwartet?«
Isak seufzte. »Du bist ein Schauspieler, und es ist verständlich, dass du eine Rolle mühelos annehmen kannst, aber dies bei so vielen auf einmal zu erleben – diesen wilden Eiferern, die plötzlich lächeln und lieb tun – das verstört mich. Die Leute sollten nicht in der Lage sein, sich so einfach zu verändern.«
Er zeigte auf die Ränder, an denen die Einheiten der Bruderschaft der heiligen
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