Sturmauge
Lehre bereits Aufstellung bezogen hatten und darauf warteten, ihrem Lord vor dem Aufbruch salutieren zu können. Zwei Reiter standen nicht in Reih und Glied. Die nüchternen Uniformen der Dunklen Mönche verbargen ihre Gesichter, aber Mihn wusste, dass diese Ritter Lordprotektor Torl und Bruder-Hauptmann Sheln waren.
»Die beiden sprechen schon seit zwanzig Minuten mit Legionskaplan Darc. Dieser Mistkerl hat in den letzten zwei Wochen eigenhändig sechs ihrer Kameraden erhängt, und doch stehen sie dort und plaudern mit ihm. Ich hätte ihn längst in der Mitte durchgehauen, aber ich bin ja auch ein Weißauge – das Zwischenmenschliche liegt uns nicht so.«
Mihn sah ihn an. »Ihr reagiert auch anders auf Probleme, als es normale Menschen tun. Für alle anderen stellen Gebräuche und Protokolle Dämpfer dar. Sie verschaffen ihnen Zeit, das Geschehene zu begreifen und anzunehmen, und je mehr Aufruhr es gibt, umso eher nehmen sie die althergebrachten Strukturen an. Es hält vielleicht nicht lange an, aber das muss es auch nicht.
Die Fähigkeit zu lernen und sich anzupassen unterscheidet den Menschen vom Tier.«
»Und darum nehmen sie mit einem Mal meinen Segen für ihren Kreuzzug an?«, fragte Isak verwundert.
»Tradition bessert die Risse in einer Gesellschaft aus. Wenn eine Armee Tirah verlässt, sollte sie dies unter dem Banner oder mit dem Segen des Erwählten tun. Die Eiferer freuen sich zu sehr darüber, wie ihre Armee wächst, um die Traditionen anzufechten.«
Isak wirkte angewidert. »Warum sollte sie das scheren? Sie dürfen diejenigen tyrannisieren, die sie für nicht gottesfürchtig genug halten.« Er zeigte auf die andere Seite des Platzes. »Sieh: Männer in den Farben der verdammten Ritter der Tempel, mindestens eine Division, und zwar unter einer Runenschwert-Standarte, die für eine ganze Legion groß genug ist. Das Gesetz wurde nicht über Nacht geändert, Lord Bahls Beschluss zu den Geweihten hat immer noch Gültigkeit, aber heute erlaubt man ihnen, sich hier unter Waffen zu versammeln, weil wir alle für die Parade unseren feinsten Zwirn anziehen. Man würde es als …« Isak suchte kurz nach dem richtigen Wort. »Als unhöflich betrachten, wenn ich sie verhaften ließe.« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde die reichen Leute nie verstehen.«
Bevor Mihn antworten konnte, übertönten laute Stimmen den Lärm, als einige Kutschen auf den Platz kamen. Sechs Herolde in weiß-blau-roter Livree ritten voran, standen in den Steigbügeln und befahlen den Soldaten, den Weg frei zu machen. Jeder von ihnen hielt ein flatterndes Banner, wie die Leibwache eines Lordprotektors.
»Auf diesen Bannern befindet sich die Schlange des Nartis«, sagte Isak und kniff die Augen zusammen. »Aber die Ritter wirken nicht wie Pönitente.«
»Das sind die Paladine des Kardinals«, erklärte Mihn, ohne
darüber nachdenken zu müssen. »Ich erinnere mich daran, dass Haushofmeister Lesarl über sie sprach. Er amüsierte sich darüber, dass die Synode das Regiment wiederbelebte, das sie einst beschützte. Es besteht aus geweihten Rittern und den besten Söldnern in ihren Diensten.«
Er zögerte und senkte die Stimme. »Mein Lord? Da wir von Lesarl sprechen … Mein Lord, wo sind Eure Ratgeber? Dies ist trotz all des Trugs ein zeremonieller Augenblick, und …«
»Sie haben zu tun«, gab Isak barsch zurück. Seine Wangenmuskeln zuckten. Er starrte einige Herzschläge in die Ferne, dann wandte er sich wieder Mihn zu. »Ich habe ihnen befohlen, sich fernzuhalten. Wir sind so früh hier, weil ich nachdenken muss.«
»Soll ich auch …«, setzte Mihn an, aber Isak winkte ab.
»Nein, keinesfalls. Du störst meine Gedanken nicht, hilfst mir eher dabei. Hat dir Xeliath nicht von letzter Nacht berichtet?«
Mihn senkte den Blick. »Ich befürchte, ich war nicht in der richtigen Stimmung, ihr zuzuhören. Ich war auch nicht darauf vorbereitet, wie sehr mich das Ritual anstrengen würde. Als Xeliath wieder, äh, in sich zurückkehrte , schlief ich.«
»Aber natürlich«, sagte Isak und legte dem kleineren Mann die Hand auf die Schulter. »Ich fasse es einmal kurz für dich zusammen.« Er rieb sich über das unrasierte Kinn und Mihn erkannte, dass seine schlechte Laune nicht nur von einer schlaflosen Nacht herrührte. Was ihn beschäftigte, trieb einen gehetzten Ausdruck in seine Augen. »Ich wurde weitgehend mit den Lebensweisheiten eines alten Soldaten erzogen, das weißt du, oder?«
Mihn nickte. »Natürlich, aber Carel
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