Sturmauge
könnten die Reservetruppen mobil gemacht werden, fünfzigtausend Mann, die Hälfte davon ausgebildete Reiterei, und dazu zählten nicht einmal die Bürger, die sie noch rekrutieren könnten.
Es gab einen guten Grund, warum die Farlan das mächtigste Reich des Landes waren, und – dies erkannte Mihn im Laufe des Tages – die Soldaten des Stammes brannten darauf, den Rest des Landes daran zu erinnern.
»Wenn alle Männer mobil gemacht werden, könnt Ihr die Menin besiegen«, sagte Mihn, nachdem er sein Gebet an die untergehende Sonne beendet hatte.
Isak machte einen nichtssagenden Laut. »Er hat bisher so schnell und leicht gewonnen, weil ihn seine Feinde unterschätzten. Ich habe nicht vor, den gleichen Fehler zu begehen.«
»Wollt Ihr Styrax vorschlagen zu verhandeln?«
»Wenn wir alle mobil machen, wäre er in einer erheblichen Unterzahl, das stimmt, aber die Berichte aus Tor Salan sprechen davon, dass er sich die Dienste der Zehntausend gesichtert hat. Wenn er Zeit hat, um Truppen in Tor Salan und den anderen Chetse-Städten auszuheben, schwindet unser Vorteil. Narkang wird uns unterstützen, aber sie sind für einen Krieg dieses Ausmaßes nicht bereit. Wenn wir kämpfen müssen, dann sollten wir uns richtig darauf vorbereiten und bewusst einen Ort dafür auswählen …«
»Sind wir denn bereit dazu? Wenn Ihr einen zu großen Teil des stehenden Heers nach Süden schickt, wer soll dann unsere anderen Grenzen schützen? Ihr erinnert Euch doch noch an den Einmarsch der Elfen im letzten Winter? Die magischen Elfenspäher werden es schnell bemerken, wenn Ihr den Großteil von Lomins Truppen zur Runden Stadt führt. Wird Herzog Lomin überhaupt erlauben, dass seine Soldaten ausziehen?«
»Ich habe bereits mithilfe der Magier, die ich vorhin aufsuchte, mit Lomin gesprochen. Er stellt uns Männer zur Verfügung. Ich habe ihm darum anderweitige Unterstützung versprochen.«
Mihn zögerte. Isaks Schultern waren bei diesen Worten etwas gesunken, als wäre eine weitere Last daraufgelegt worden. »Was für eine Unterstützung?«, fragte er mit einem nervösen Flüstern.
»Etwas, das nur ich ihm bieten kann.« Isak lehnte sich zurück und rutschte von der Kante und auf den kleinen Umgang, der den Hauptflügel des Palastes umgab. »Es ist etwas, das ich jetzt tun muss, auch wenn es unliebsame Auswirkungen haben kann.« Er schien von dem, was er nun vorhatte, verunsichert zu sein. Und das sah ihm gar nicht ähnlich.
Mihn machte sich Sorgen. »Isak, solltet Ihr Euch nicht vorher ausruhen?«
»Nein, dafür ist die Dämmerung die beste Zeit. Wenn du zusehen willst, sei still und stör mich nicht.«
Mihn nickte. Isak öffnete seinen mit Pelz besetzten Mantel und hielt einen der Kristallschädel hoch. Eolis hing an seinem Gürtel, der andere Schädel war wie üblich in den Griff eingelassen. Isak trug unter dem Mantel ein formelles Wams, rot und mit Goldfäden verziert, und wirkte, als habe er gerade ein Festmahl verlassen.
»Jetzt zier dich nicht so, du Schlampe«, murmelte Isak und starrte dem Schädel in das tote, glatte Gesicht.
Mihn nahm im Nacken ein Prickeln wahr und packte den Stab fester. Plötzlich spürte er die kalte Nachtluft nicht mehr. Stattdessen kroch etwas Schleimiges über sein nacktes Fleisch, berührte ihn so leicht wie ein Schmetterling. Er zuckte unwillkürlich zusammen und das Gefühl nahm etwas ab, als ein fremdartiger Wind vom Dach aufstieg.
»Zwing mich nicht, dich hervorzuzerren«, blaffte Isak. »Das würde dir nicht gefallen.«
Mihn erstarrte. Ihr Götter, bitte sag mir, dass du nicht …«
Der Gedanke verging, als ein grünes Flackern wie ein Blitz über das Dach zuckte. Der Wind zerrte an Isaks Mantel und malte vergängliche grüne Schemen in die Luft um den Farlan-Lord.
Ein Gestank nach Verfall und Verwesung erschien aus dem Nichts und verursachte Mihn Übelkeit. Er bedeckte seinen Mund, kämpfte gegen das Erbrechen an und zuckte zurück, als ihn eine plötzliche Bewegung wie ein Faustschlag im Innern seines Brustkorbs traf. Als er aufsah, stand sie dort, so wunderschön wie ein Splitter aus Eis, und auch genauso kalt: der schrecklichste Aspekt Tods, die Königin des Verfalls.
Mihns Magen krampfte sich vor Schreck und wegen des ranzigen Gestanks zusammen. Sie tat einen Schritt auf ihn zu, reulose Mordgier in den Augen, griff mit Fingernägeln nach ihm, die wie scharfkantige Eiszapfen geformt waren …
»Darum habe ich dich nicht hergeholt.« Isak sprach sie grob an,
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