Sturmauge
nicht hatte abhalten lassen. Ein Licht erhellte eine Gestalt, die am Felsrand saß und mit ihren nackten Füßen baumelte.
»Sieht aus, als sei er tot oder betrunken«, sagte Ilumene und ging so nah heran, wie er es ohne zu klettern vermochte. Er spähte hinauf. »Das ist dieser Magier, der gestern aufgetaucht ist«, erklärte er Ruhen. »Der Knecht unseres Freundes in Scree.«
»Ein Knecht braucht einen Herrn.«
»Wer ist dann sein Herr?«, fragte sich Ilumene laut. »Vielleicht ist er doch durch und durch ein Menin, aber wer würde einem
Nekromanten trauen? Styrax ganz sicher nicht, also muss er wissen, dass er hier niemals in den inneren Kreis vordringen kann. Die besten Chancen hätte er bei Lord Larim. Halten sich nicht alle Erwählten des Larat ein Gefolge aus Akolythen?« Er spürte, dass der kleine Junge auf seinen Schultern nickte.
»Warum ist er dann jetzt nicht unten in Ismess und versucht sich beim neuen Lord des verborgenen Turms einzuschmeicheln? Er ist anpassungsfähig, das hat er in Scree bewiesen. Ich an Larims Stelle hätte den klumpfüßigen Schwachkopf gerne in meinem Gefolge, und sei es nur, damit sich die anderen infrage gestellt sehen. Es gibt nichts Schlimmeres als Magier, die glauben, in einer sicheren Stellung zu sein.«
Ruhen wies auf die Gestalt an der Kante, die noch immer reglos dasaß. Er war wegen der kalten Nachtluft in eine dicke Decke gehüllt, nur sein Kopf schaute heraus. »Licht«, flüsterte der kleine Junge.
»Lass mich in Ruhe«, rief Ilumene. »Sieh sich das einer an!«
Nai zuckte aufgrund der lauten Stimme zusammen. Er blickte kurz zum wolkenverhangenen Himmel auf, bevor er auf das Paar hinabsah, das ihn beobachtete. Dann rieb er sich das Gesicht, wischte sich das Haar aus den Augen und richtete sich auf. »So etwas sollte ein kleiner Junge nicht hören«, sagte er mit etwas verschliffenen Worten. »Was wollt Ihr also?«
»Wie wäre es mit etwas Licht?«, rief Ilumene.
Nai zuckte zusammen und warf einen schuldbewussten Blick auf die Lampe neben sich. Beinahe sofort schwächte sich das Licht ab und flackerte wieder so wie immer.
»Ein hübsches Plätzchen habt Ihr hier«, fuhr Ilumene böse lächelnd fort. »Wie geschaffen, um in aller Ruhe etwas zu trinken.«
Nai hob eine Flasche an und prostete Ilumene damit zu. Die Zweiliterflasche schien jedoch schon fast leer.
»Gibt es noch andere Plätze wie diesen?«
»Äh, nein.« Nai sah sich im Tal um, aber bis auf die zunehmende Dunkelheit war wenig zu sehen. »Nun, vielleicht, weiß nicht recht.«
»Ihr habt Euch einfach eine Kante ausgesucht und hattet Glück?«
Nai nickte eifrig. »Hab mir gedacht, ich such mir ein ruhigeres Plätzchen, um mein Bier auszutrinken. Hab’s nicht gespürt, bis ich hier ankam. Die tote Zone ist ungefähr zweimannshoch.« Plötzlich lachte er auf. »Bin mir sicher, mal gelesen zu haben, dass Magie schwerer wiegt als Luft.«
Ruhen zog Ilumene am Ohr. Der Junge wollte weiter. »Ich lass Euch dann mal mit Eurem Bier allein«, sagte er und salutierte übertrieben vor dem Nekromanten. »Euer Lord hat gewonnen, aber es dauert wohl noch ein paar Stunden, bis sie es einsehen.«
Nai blickte zum Palast der Gelehrten zurück. Ilumene folgte dem Weg eilig, denn er wollte nicht, dass der Nekromant es bemerkte. Er konnte einer dieser Betrunkenen sein, die sich am nächsten Morgen an unliebsame Einzelheiten erinnerten, und dies war eine Menschemmenge, in der sie nicht auffallen wollten.
Der Weg war steinig, denn man hatte ihn mit Kieseln aufgeschüttet, und die Steine machten so viel Lärm, dass Ilumene keine Angst haben musste, dass Nai seine Worte hören würde. »Das war überraschend«, sagte er. »Ich dachte, das ganze Tal wäre eine tote Zone.«
»Palast«, bemerkte Ruhen.
Ilumene blieb schlagartig stehen. »Der Palast der Gelehrten?« Er schürzte die Lippen. »Das ist ein guter Punkt. Seine Erklärung ist nicht wasserdicht, oder? Die oberen Stockwerke liegen deutlich höher, als sein Sitzplatz.«
Er sah zurück, um sich zu vergewissern. Der Boden war abschüssig, aber Nai saß nicht annähernd so hoch wie die oberen
Stockwerke des Gebäudes waren, das sie gerade erst verlassen hatten.
»Also müssen wir uns fragen, ob er im Vorfeld von dieser Stelle wusste, oder ob man ihm gesagt hat, er solle nach Rissen in der Schicht suchen. Was denkst du?«
Ruhen antwortete nicht. Vermutlich dachte der Junge nach. Er hielt eine Strähne von Ilumenes Haar in seiner kleinen Faust. Der Junge war
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