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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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eine längere Jagdreise im Frühling, was zudem den Vorteil hatte, dass sie sich nicht in der Nähe der Königin und der beiden Prinzen befanden.

    Erst trafen sich ihre Blicke, dann ihre Lippen. Seine zarten Fingerspitzen glitten über ihren Oberschenkel, umspielten ihr Knie, wanderten zu ihren Zehen hinab. Vor dem Zelt erklang eine Stimme, zu leise für ihre Ohren, aber sie spürte die Bewegung des Lagers, als ihr Liebhaber sich aus dem Bett erhob.
    Sie beobachtete seine schlanke Gestalt, während er mit seiner Reiterkleidung kämpfte und Eolis umlegte.
    Sie wollte über seine Finger streichen, ihn zurück ins Bett locken, für einen letzten Kuss. Aber als sie seinen Namen rufen wollte, verdorrte ihre Kehle. Etwas hinderte ihre Zunge und der Atem sickerte so aus ihren Lungen, dass die Worte nur in ihrem Geist erklangen. Sie erstarrte, eisige Schauder wanderten ihren Rücken hinab, sie konnte nicht einmal mehr schreien.
    Das Bild verschwand und die Wände des Zeltes wurden grau und verwandelten sich in einen dunklen, aufgewühlten Himmel. Sie blickte sich um und sah Blut, aufgerissene Leiber und zerfurchte Erde. Sie kniete, die Hände auf dem Rücken gefesselt, und das Feuer offener Wunden peinigte ihren Körper. Ein Schwert hatte ihren Kopf getroffen und den Helm zerstört. Eine Flammenzunge hatte ihren Arm umlodert und sie vom Pferd geworfen.
    Neben ihr knieten ihre Brüder. Der eine sog die Luft pfeifend in eine verletzte Lunge ein, der andere zitterte vor Angst und versuchte das Blut aus den Augen zu bekommen, das von seinem Kopf herablief. Die Knochen an seinem Fuß hatten die Haut durchstoßen. Sie beobachtete ungläubig, wie ein silberner, steifer, im Tod uneleganter Leichnam auf die Spitze des Hügels gezerrt wurde. Es wirkte wie eine Beleidigung, wo doch Aryn Bwr so für seine Ehrfurcht erweckende Eleganz bekannt gewesen war.
    Jetzt war er tot, nicht mehr als eine schmutzige Hülle. Sie konnten ihm keine weitere Schmach antun – das hatte sie zumindest geglaubt, bis die Rufe über die Ebene hallten. Dort oben
schimmerte die Luft und hallte jede Silbe nach. Die acht Stimmen, in denen die Gram über den Verlust ihrer Gefährten und die Anstrengung des Kampfes lagen, der sie bis zum Äußersten erschöpft hatte, glitt bis zu der Stelle hinab, an der sie kniete. Ihr versehrter Körper wich vor der Wut zurück, die aus ihnen sprach und sich einem Höhepunkt reiner Rache näherte. Sie konnten dem Toten eigentlich nichts mehr antun – und hatten doch einen Weg gefunden.
    Jetzt stiegen die Tränen in ihr auf, nicht weil sie besiegt und gedemütigt worden waren, nicht weil man ihr Schmerzen angetan hatte und auch nicht, weil sie fürchtete, wie man über sie richten würde. Sie weinte um den König, den sie verehrt hatte, den Geliebten, dem sie auf ewig treu war. Und doch verblasste sein Name in ihrem Geist, und sie konnte die Buchstaben, mit denen er in ihr Herz geprägt war, nicht mehr lesen. Als die Götter mit dem Leichnam fertig waren und ihn in eine faulige Grube geworfen hatten, war sein Name aus ihrem Herzen verschwunden, und aus den Gedanken derer, die ihn seit hundert Jahren begleitet hatten: er war aus der Geschichte getilgt.
     
    Zhia wurde von einem leisen Klopfen geweckt. Als sie die Augen aufschlug, befand sie sich in einem anderen Land, das sich in allem von dem unterschied, in dem sie vor dem Krieg gelebt hatte. Es milderte den Schmerz in ihrem Herzen etwas, in ihm einen anderen Ort zu erblicken, eine andere Welt. Sie hatte gelernt, mit der Erinnerung an ihren Verlust zu leben, mit einer Erinnerung also, die sie nur in ihren Träumen durchlebte, im Wachen aber beständig verleugnete. Diese Welt war nicht mehr und es würde ihr nichts nützen, sich nach ihrer Rückkehr zu verzehren.
    Sie gähnte und streckte ihre schlanke Gestalt, bis die Zehen das Fußteil berührten und die Kerbe fanden, die wenige Finger
hoch hineingeschnitten war. Sie verdrängte das Ende des Traumes mit der Freude des vorher Erlebten, wie sie es schon vor vielen Jahren gelernt hatte. Nur so konnte sie den Schmerz genug lindern, um weiterzumachen. Gedankenspiele beruhigten sie und lenkten ihre Gedanken auf angenehmere Dinge. Sie erinnerte sich an die Berührung seiner Haut, die so gar nichts mit der Berührung eines Menschen gemein hatte, an die Schwingung seiner Stimme, die ihr Herz vom ersten Augenblick an mit Beschlag belegt hatte, und an das Gefühl seines Atems an ihrem Ohr, wenn er ihr des Nachts etwas zugeflüstert

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