Sturmbote
ließ, die die Spitze des Tempels trugen. Der Wind wurde stärker, bis er kreischend über den gravierten Boden peitschte. Das Geräusch war inzwischen so laut, dass die Männer sich wanden und die Hände eine Weile auf die Ohren pressten. Im Tempelinneren wurde es dunkler.
»Was geschieht da?«, flüsterte dann einer der Tachrenns.
»Der Finstere Ort«, krächzte Kohrad fröhlich. »Die Grenzen zwischen ihren Landen und den unseren sind dünn, denn der Dämon versucht sie zu überwinden. Hört genau hin … dies sind die Stimmen der Verdammten!«
Dev lauschte. Während der kreischende Wind stärker wurde, konnte man sich nur zu leicht einen Chor klagender Stimmen
darin einbilden. Die Luft im Tempel waberte und bebte, als würde sie von unsichtbaren Gegnern angegriffen werden. Nur der schwarze Ritter, noch immer seinem Bewegungsmuster folgend, wurde davon nicht in Mitleidenschaft gezogen und schien nichts darum zu geben, dass die Grenzen des Landes zerfetzt wurden. Der um ihn herumwirbelnde Sturm behelligte ihn nicht. Etwas glitt über den Stein zu seinen Füßen, wurde vom Wind aufgehoben und gegen die Unterseite eines der Umgänge geschleudert, die um den Tempel führten.
Dev folgte dem Geräusch und wurde bleich, als er die schattenhaften Figuren sah, die sich dort versammelt hatten und deren Sichtbarkeit mit dem An- und Abklingen des Heulens einherging. Er kniff die Augen zusammen, konnte seine Aufmerksamkeit jedoch nicht genug bündeln. Die Figuren verschwanden, wenn er sie gezielt anblickte. Nur aus den Augenwinkeln sah er, dass sie alle angestrengt hinab auf den Tempelboden starrten. Eine böse Vorahnung kroch auf eisigen Fingern über seinen Rücken und er blickte nach unten.
Dort stand neben dem Altar, das große Menin-Weißauge noch überragend, der Dämon.
Kastan Styrax reagierte nicht, als der Dämon mit einem Flackern erschien, aber er nahm den Aufruhr unter den Chetse-Soldaten und den rauen, vorfreudigen Schrei seines Sohnes entfernt wahr. Kohrad war von den anstrengenden Ritualen, Zaubern und Operationen geschwächt, mit denen sie die Rüstung von seinem Körper getrennt hatten, aber er wollte auf jeden Fall sehen, wie sich sein Vater rächte.
Kastan trat vor und musterte seinen Feind. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann zum letzten Mal jemand größer gewesen war als er, denn die Menin wurden von den sieben Stämmen am größten. Der Dämon erreichte vier Meter, war damit
deutlich größer als er selbst, und sein Gesicht lag im Schatten einer schwarzen Kapuze. Trotzdem konnte Kastan ein Gewirr aus dunklen, tiefen Narben darin erkennen. Der Dämon blickte zu Kohrad hin, woraufhin der Junge begann, einen Strom an Verwünschungen auszustoßen.
Styrax lächelte. Kohrad musste ihm voll und ganz vertrauen, sonst würde er dem Dämonenprinzen nicht solche Beleidigungen an den Kopf werfen, da er doch selbst im Augenblick kaum das Schwert heben konnte. Er hatte keine Ahnung, wie mächtig der Dämon war, aber das spielte auch keine Rolle. Er musste jetzt gegen ihn kämpfen, das wusste Styrax. Nachts suchte ihn der Dämon in seinen Träumen heim und tastete nach einem Weg, sich seine Seele zu sichern. Er hatte gewusst, dass der Dämon kommen würde, sobald er ihn rief.
Wie viele Fliegen kann ich hier wohl auf einen Streich erschlagen?, dachte er. Es ist genug, sich von dem Dämon zu befreien, aber wenn diese Tachrenns sehen, wie ich ihn besiege – was Lord Chalat niemals geschafft hätte –, dann werden sie mir quer durchs ganze Land folgen. Und wenn dabei bedauerlicherweise der Tempel zerstört wird, erfahren wir zumindest, ob die ewige Flamme wirklich von einem Kristallschädel gespeist wird.
Gelbe Augen glommen in der Dunkelheit, und als der Dämon den Mund öffnete, offenbarte er zwei Reihen dünner, spitzer Zähne. Doch Lord Styrax machte sich mehr Sorgen wegen des doppelköpfigen Kriegsflegels in der einen und der hackebeilartigen Waffe in der anderen Hand des Dämons. An den dreizehigen Füßen prangten gewaltige Krallen. Durch den zerrissenen und zerlumpten Mantel konnte er Knochenplatten und große Muskeln erkennen, darüber eine vernarbte Haut und an einigen Stellen knöcherne Fortsätze, die fast wie ein räudiges Fell aus gebogenen Fängen wirkten. Sogar in der warmen Luft schlug sich der Atem des Dämons in Wolken nieder. »Du hast leere Versprechungen
gemacht, dein Wort gebrochen«, sagte er barsch. »Dieser Tempel steht noch und niemand sprach hier meinen Namen,
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