Sturmbote
Vergleich zu dem harten, unverrückbaren Stein um sich herum körperlos, vergänglich, nicht mehr als eine Erinnerung. Als er die obere Kammer erreichte, blieb er stehen und wartete, ließ sich von der angesammelten Macht in seinem Innern treiben. Dann beschloss er, dass die Zeit gekommen war. Er kratzte mit der Stiefelsohle leicht über den Boden.
Die Gestalt vor ihm regte sich nicht, aber Styrax wusste, dass er bemerkt worden war.
Nach langem Schweigen fragte Salen: »Nun, Mikiss, was gibt es jetzt?«
Styrax blieb still stehen und zog mehr Macht aus dem Schädel an seiner Brust, während er Salens Rücken im Blick hielt. Er wollte, dass der Mann Zeit hatte, die Dummheit seines Verrates zu erkennen, zu verstehen, dass seine Taten die ganze Zeit über erwartet worden waren und man ihm seine kindischen Allmachtsfantasien gestattet hatte – bevor er ihm alles nahm.
Salens lange Robe aus roten, gelben und blauen Stücken, die Säume mit Silber und Gold bestickt, bewegte sich in dem leichten Windhauch, der hier oben im Turm noch ankam.
»Mikiss?« Als er sich umdrehte, verschwand der Ärger aus seinen Zügen.
Styrax lächelte. Seine weiße Hand brannte höllisch, jede Hautfalte war mit der Lebendigkeit der gesammelten Magie angefüllt, die endlich losbrechen wollte. Er freute sich über die Schmerzen, denn sie erinnerten ihn gleichermaßen an seine Sterblichkeit und seine gewaltige Stärke. Er glaubte an die Notwendigkeit der Ausgeglichenheit aller Dinge – sein Sohn Kohrad war nicht der
Einzige, dem er das einzubläuen versuchte. Vielleicht würde ja dort eine Demonstration Erfolg haben, wo weise Worte versagt hatten.
»Nun, Salen? Du hast dich seit Wochen auf diesen Augenblick vorbereitet. Jetzt ist es Zeit zu handeln.«
Der Erwählte Larats kam in Bewegung, die Hand schoss in die Tasche, während er die Kraft um sich herum zu sammeln suchte. Dann trat Erstaunen auf sein Gesicht, denn er fand nichts, das er sammeln könnte, die erwartete Macht entzog sich seinem Zugriff. Stattdessen strömte sie in den Schädel, der mit Styrax’ Rüstung verschmolzen war.
»Was?«, flüsterte Salen verwirrt.
Styrax sah, dass das Weißauge noch immer offen für die Machtströme war, auch wenn er nicht mehr nach dem Geschmack der Magie suchte. Der Weg war bereitet und die Macht in seinem Inneren forderte, freigelassen zu werden. Mit einem Keuchen und Schaudern ließ er die Flut durch seinen Körper und auf Salen zuströmen, der zurückgeworfen wurde, mit den Armen ruderte, als würde er von der magischen Sintflut davongespült werden. Dank des Schädels war Styrax gerade ebenso in der Lage gewesen, die gestohlene Macht in sich zu halten. Jetzt, da er den Strom umkehrte, kreischte sein Feind grausig und wand sich vor Schmerzen, während sich die Magie durch jeden Nerv und jede Ader seines Körpers fraß.
Der Lord des Verborgenen Turmes brach noch immer zuckend zusammen und seine Flickenrobe verging in bunten Flammen. Die Farben gleißten selbst durch Styrax’ geschlossene Lider. Er schützte das Gesicht mit der Hand und zuckte dennoch zusammen, als die Amulette auf Salens Robe in grellweißes Licht explodierten.
Wind peitschte um ihn herum und Styrax sprang zurück, als ein Steinbrocken den Daumen der ungeschützten Hand traf. Die
Nachtluft umschloss ihn mit einem Mal, presste ihm die Kehle zu. Styrax zwang die Arme hinab und legte eine Hand auf den Schwertgriff, denn er erkannte die Anwesenheit der Götter. Er würde nicht zulassen, dass sie ihn schwanken sahen, nicht einmal, wenn er starb.
Völlige Stille füllte die Kammer. Styrax öffnete die Augen und fand nur noch einen Haufen verkohlter Knochen vor, wo Salen gelegen hatte. Dunkelheit umgab ihn. Dann wurden die harten Schatten weicher. Styrax stellte sich vor, wie Tod zurück in die Nacht schritt und dabei Salens verkohlte und versehrte Seele hinter sich her zerrte.
Im Wind, der durch die Straßen der Stadt fegte, kaum zu hören, vernahm Styrax einen fernen Laut. Er lauschte und versuchte, seinen Ursprung zu bestimmen. Nach einer Weile erkannte er, dass es Larats hohles Kichern war, das durch die Nacht klang. Lord Salens Gott war offenbar von der Ironie erheitert, die im Tod seines Erwählten lag. Das Weißauge verzog das Gesicht. In Salens kranker Nichtbeachtung des Lebens spiegelte sich die seines Gottes wider und Styrax verstand solche Männer nicht. Männer, die ihr eigenes Leben nur als blasses Abziehbild ihres Gottes führten.
Endlich wandte sich Styrax um
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