Sturmbote
noch immer?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich gesagt hätte,
diesen Posten zu wollen. Ich weiß nicht, ob ich den Mut hätte, Euch von einer Dummheit abzuhalten, aber ich werde die Stellung annehmen, wenn Ihr mich wollt. Vielleicht bin ich auf eine Gelegenheit aus, mich erneut zu beweisen.«
»Nur vielleicht?«
»Vielleicht ist es mir mittlerweile auch gleich.« Seine Worte wurden von der Flut der Wahrheit herausgespült, bevor er sie herunterschlucken konnte.
Lord Isaks Gesichtsausdruck wurde ernst.
Verdammt. Wie ernst meine ich das?
»Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist. Ich brauche einen Mann, der die Flammen meines Temperaments zügelt, nicht ihnen freie Hand lässt. Habt Ihr keine Familie, der Ihr etwas beweisen wollt?«
»Was das angeht, so besteht wohl keine große Hoffnung«, seufzte Jachen. »Aber ich habe lang genug gedient, um gelernt zu haben, dass man nur einer Person wirklich etwas beweisen kann: sich selbst. Männer, die Helden sein wollen, enden meist als Leichen.«
»Gut. Jetzt sagt mir noch, wodurch Ihr Kerins Groll ursprünglich erregt habt.«
Jachen verzog das Gesicht. »›Ursprünglich‹ hieße weit zurückgehen zu müssen, aber die Männer hassen mich dafür, dass ich meinen Posten verlassen habe. Ich ließ mein Regiment zurück, um meine Frau und Tochter zu retten.«
»Haben sie überlebt?«
»Die Männer des Regiments? Einige.«
»Ich meinte Eure Familie«, sagte Lord Isak.
»Meine Tochter ja. Wie der Rest des Stammes hasste sie mich dafür, ein Feigling zu sein.«
»Die meisten Männer würden versuchen, sich dafür zu rechtfertigen.«
»Es ist meine Geschichte und ich erzählte so viel oder wenig davon, wie ich möchte.« Jachen konnte nicht verhindern, dass er verärgert klang. Immerhin waren die Vorwürfe in Isaks Worten offensichtlich gewesen und er reagierte darauf.
»Das stimmt. Ich werde nur neugierig, wenn ein Mann sich so wenig Mühe dabei gibt, seine Taten zu verteidigen, vor allem, wenn er mir als einer der angesehendsten Soldaten im Lande empfohlen wurde. Kerin hat sich allerdings gut abgesichert – er hat Euch nicht offiziell empfohlen, sondern nur ein Treffen ermöglicht. So kann sich niemand darüber beschweren, übergangen worden zu sein. Und er bekommt keinen Ärger, wenn ich Euch nicht mag. In diesem Punkt … bin ich mir augenblicklich noch etwas unschlüssig, Oberst Jachen Ansayl –«
»Äh, Lord Isak, darf ich eine Bitte an Euch richten?«, fragte Jachen zögerlich. »Würdet Ihr mich Oberst Jachen oder wenigstens einfach Jachen nennen? Ich weiß, dass dies der Etikette nicht entspricht, aber es gibt genug Männer, die mich auch so daran erinnern werden, dass ich ein Bastard bin.«
»Gut – aber das heißt nicht, dass ich Euch nicht trotzdem manchmal als Bastard beschimpfen werde.«
Bevor Jachen eine passende Erwiderung einfiel, klopfte es laut an der Tür hinter ihm und eine wunderschöne junge Frau trat ein, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Sie warf einen verwunderten Blick auf Jachen und machte dann einen eleganten Knicks, von dem sie jedoch nicht überzeugt schien. Sie sah aus, als sei sie auf dem Weg zur hohen Messe im Tempel. Ihr weißes Kleid war blütenrein und ein Seidenschal lag über ihrem Arm, dazu bereit, die vier wunderschönen Amulette in ihrem geflochtenen Haar zu verdecken. Niemand würde so Nartis’ Tempel betreten: mit offen getragenen Emblemen von Triena, der Göttin der Treue, Ial, einem Aspekt von Ilit, und Anarie, der Göttin der friedlichen Lichtungen, einem Aspekt von Amavoq. Jachen
packte das schlechte Gewissen, als ihm auffiel, dass Anarie die einzige Gottheit war, zu der er in den vergangenen Jahren gebetet hatte. Sie hatte ihm nicht geantwortet.
»Mein Lord, es wird Zeit.«
Er seufzte. »Natürlich … aber Tila, erst möchte ich dir den neuen Kommandanten meiner Leibgarde vorstellen, Oberst Jachen Ansayl, der es vorzieht, Oberst Jachen genannt zu werden. Jachen, dies ist Tila Introl, meine politische Beraterin. Ich schlage vor, dass Ihr Euch in ihrer Nähe beherrscht. Die Zunge der Dame Tila ist nämlich nicht nur spitz, sie hat zudem auch Widerhaken und ihr fehlt mein sonniges Gemüt.«
»Oberst Jachen«, die Frau grüßte ihn, indem sie ihr wunderschönes Gesicht kurz senkte. Ihre langen Wimpern flatterten und Jachen kam es vor, als habe sie sich jede Einzelheit seiner Erscheinung mit einem einzigen Blick eingeprägt, von den angestoßenen Stellen seiner Stiefel bis zum fehlenden
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