Sturmbringerin
hängenden Haare konnte Orena ihren Blick nicht deuten. Sie wischte die Haarsträhnen beiseite und zog auch den nassen Knebel aus ihrem Mund.
Was Orena sah, ließ sie erschaudern. Sie blickte in absolut emotionslose Augen. Kein Anzeichen von Widerstand, keine Angst, nicht einmal Erkennen zeichnete sich in Giannas Blick ab.
Obwohl der Blick der anderen Frau Orena zu fixieren schien, so war er komplett wertfrei.
»Hat Kemandra dich wieder geschlagen?«, versuchte Orena es vorsichtig.
»Es tut mir leid«, murmelte Gianna mit brüchiger Stimme.
Orena stutzte bei ihren Worten. »Was tut dir leid?«
Gianna zögerte, suchte nach Worten. »Das weiß ich nicht.«
»Wie kommst du dann auf die Idee, dass dir etwas leidtun müsste?«
»Es tut so weh. Ich muss etwas ganz Schreckliches gemacht haben. Es tut mir wirklich leid. Was ich auch getan habe, ich mache es nie wieder, versprochen. Sag mir doch, was ich falsch gemacht habe.« Eilig haspelte Gianna ihre Antwort herunter.
Orena musste alles von sich abverlangen, um nicht loszuschreien. Stattdessen schloss sie die Augen und atmete ein paar Mal tief durch.
Hatte Kemandra sie tatsächlich zerstört? Schon die letzten Tage über hatte es sich abgezeichnet. Gianna war immer abwesender und schweigsamer geworden, obwohl Orena sich alle Mühe gegeben hatte, ihr zu vermitteln, dass sie im Grunde auf derselben Seite standen.
»Bitte verzeih mir! Ich mache es nie wieder, wenn du mir nur sagst, was ich falsch gemacht habe. Bitte tu mir nicht weh«, flehte Gianna weiter. Jetzt stand in ihren Augen die blanke Panik, sonst jedoch nichts.
»Kannst du mir sagen, wie du heißt?«, fragte Orena bemüht ruhig.
Gianna wollte antworten. Sie öffnete ihren Mund, überlegte, schloss ihn wieder. Hektisch schüttelte sie den Kopf. Die Tränen rannen ihr über die Wangen. »Ich weiß es nicht«, hauchte sie entsetzt.
»Ich kann deine Frage nicht beantworten. Es tut mir so leid. Ich weiß es nicht. Bitte tu mir nicht weh.« Offensichtlich hatte Gianna fürchterliche Angst Orena zu verstimmen.
Es war das erste Mal, dass sie vor Orena weinte. Bisher hatte sie ihre Tränen immer vor ihren Peinigern verbergen können. Orena hatte gewusst, dass sie abends meistens unter Tränen einschlief, doch hatte sie diese niemals jemanden sehen lassen.
»Dein Name ist Gianna. Erinnerst du dich?« Orena wollte möglichst sanft klingen, da sie ihr nicht versprechen konnte, ihre Gabe nicht gegen Gianna einsetzen zu müssen.
Ihr Blick war noch immer leer. Ihr Name sagte Gianna scheinbar nicht das Geringste.
»Gianna…« Es klang als versuchte sie, ein neues Wort zu lernen.
Orena fluchte innerlich. Sollte es das etwa gewesen sein? Sie hätte schneller etwas unternehmen müssen. Irgendwie musste diese Situation doch noch zu retten sein!
Orena beugte sich noch tiefer zu Gianna, damit sie auf keinen Fall belauscht werden konnte. »Kannst du dich an Van erinnern? Kennst du diesen Namen?«
Wenn dieser Name sie nicht weckte, half nicht mehr viel.
Gianna sah sie hilflos an und schüttelte abermals den Kopf, dann begann sie erneut, sich in sich überschlagenden Entschuldigungen zu verstricken.
Behutsam strich Orena ihr über die Wange. »Schon gut, ich bin dir nicht böse. Du kannst nichts dafür.«
Ihre Gedanken überschlugen sich. Wenn Orena jetzt falsch handelte, kostete es sie ihren Kopf. Wobei Gianna ihr allem Anschein nach nicht die erhoffte Hilfe sein konnte.
Ganz langsam richtete sich Orena auf, um Gianna nicht noch mehr zu verschrecken.
Sie marschierte zurück zu Mairis, die sie sorgenvoll musterte.
»Bringt Hias hierher«, richtete Orena die Stimme hart an die Soldaten. »Sagt ihm, dass ich mir sehr sicher sei, dass wir sie soweit haben. Jedoch könnte es ein Problem geben, darüber bin ich mir noch nicht im Klaren. Ich muss ihn sprechen. Er soll kommen, sobald er es einrichten kann.«
Immerhin verstanden sie, wie ernst es Orena war und gleich drei Soldaten machten sich auf den Weg.
»Was ist mit ihr?«, fragte Mairis flüsternd.
Orena schnaubte frustriert. »Sie versteht nicht, was hier los ist. Sie kennt nicht einmal mehr ihren Namen, geschweige denn hat sie auf den von ihm reagiert. Ihre Erinnerungen an sich selbst scheinen komplett ausgelöscht zu sein. Ihr Blick ist vollkommen leer, außer Angst ist nichts darin. Sie hat sich die ganze Zeit über wie wild entschuldigt, wobei sie nicht einmal wusste wofür. Ständig hat sie mich gebeten, ihr nicht länger weh zu tun.«
»Willst du damit
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