Sturmfahrt der Liebe: Er war der König der Meere - und sie die Herrscherin seines Herzens (German Edition)
hatte ein Schiff gestohlen, die Hälfte der Mannschaft gezwungen, sich ins Meer zu stürzen, und war davongesegelt. Vor sechs Monaten hatte ihn die spanische Marine erwischt, ihn in das Gefängnis in Havanna gesperrt und plante, ihn zu hängen.
Er war da, und seine Geliebte Anna würde kommen, um ihn zu retten.
Dann allerdings würde Austin sie bereits erwarten.
Wieder hob er sein Fernrohr. Irgendwo da draußen trieb Evangeline. Er fragte sich, ob sie losgeschickt worden war, den englischen Captain »abzulenken«, während Anna die Erstürmung des Gefängnisses plante. Die Vorstellung, wie Evangeline unsicher den englischen Captain anlächelte und an den Haken ihres Mieders fingerte, machte Austin ungemein wütend.
Er nahm das Fernrohr herunter. Mochte Gott dem englischen Captain beistehen, wenn Austin ihn fand!
Am zwölften Tag auf See tauchte im Westen eine Landspitze auf. Im Laufe des Tages wurde der grüne Streifen steuerbords vom Bug größer. Evangeline kam am späten Nachmittag an Deck und beobachtete ihn mit schwindender Hoffnung. Es war ihr nicht gelungen, Captain Bainbridge von der Idiotie seines Handelns zu überzeugen. Sie hatte ihm erklärt, dass ihm das Kommando entzogen und er womöglich gehängt würde, weil er vom Kurs abwich, um einen Verbrecher aus dem Gefängnis zu befreien. Den Captain kümmerte das offenbar gar nicht. Er hatte entgegnet, dass er eine gute Tat beginge, indem er einen Engländer aus den Fängen der Spanier rettete.
Anna kam von unten herauf. In der niedrigstehenden Sonne flammte ihr Haar buchstäblich auf. Sie schlenderte über Deck, um zwei Matrosen zuzusehen, die eines der Ruderboote mit Vorräten und Ausrüstung für die Gefängniserstürmung beluden.
Evangeline versuchte, sich Mut zuzureden. Die Gefängniswachen würden gewiss nicht stillschweigend hinnehmen, dass Anna einen berüchtigten Piraten befreite. Vielleicht nahmen sie Anna ebenfalls gefangen und kerkerten sie ein.
Es sei denn, ihr Vorgesetzter war ein weiterer Liebhaber Annas. Evangeline klammerte sich an die Reling und verdrängte diesen Gedanken.
Die Sonne stand tief am Horizont, die Landzunge, die in einem nebligen Dunst lag, wurde größer und grüner. Sie segelten nahe genug heran, dass man den weißen Sandstrand ausmachen konnte. Ein wunderschöner Ort, dachte Evangeline wehmütig. Die Art Gegend, die Captain Blackwell erkunden würde. Sie malte sich aus, wie er am Strand auf und ab ging, seinen Männern Befehle zurief oder einfach ruhig dastand, um die Schönheit auf sich wirken zu lassen.
Die Sonne sank noch tiefer, so dass sich der Himmel leuchtend rot färbte, gepunktet von niedrigen Wolken, die das Licht einfingen und zitronengelb tönten. Die Landzunge verlief in einem Bogen. Weiter hinten tauchte das Festland auf. Wie Evangeline den Rufen der Matrosen entnahm, hatten sie ihr Ziel erreicht: Havanna. Lichter tanzten entlang der Küste und zeichneten die Umrisse des Gefängnisses, der Stadt, der Marktplätze und der Häuser.
Einst war sie eine gewöhnliche junge Frau gewesen, dachte Evangeline, an Miss Pynes Akademie ausgebildet und darauf vorbereitet, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Doch ihr ganzes Leben war an jenem Nachmittag außer Kontrolle geraten, an dem sie in ihr Zimmer gekommen war und Harley vorgefunden hatte, der sich mit ihrer Zofe im Bett wälzte, das Gesicht zwischen ihren großen Brüsten vergraben. Evangeline war erstaunt gewesen, dass sie weder eifersüchtig noch zornig gewesen war. Sie hatte nichts als Angst empfunden, während ihr ein einziger Gedanke durch den Kopf ging: Was soll ich jetzt tun?
Jener Moment hatte zu diesem hier geführt. Nun stand sie in Unterrock und Hemdchen an Bord einer englischen Fregatte, von einer Herrenjacke bedeckt, die ihr nicht passte, und bereitete sich auf die Erstürmung eines Gefängnisses in Havanna vor.
Vielleicht würde sie dort sterben. Evangeline wusste, dass Anna Adams sie umbringen würde, sobald sie keine Verwendung mehr für sie hatte. Sie würde sterben, allein und ohne Freunde auf den weiten Meeren. Wenige würden um sie trauern.
Ob Captain Blackwell es erfuhr? Ob es ihn überhaupt kümmerte? Zwölf Tage und Nächte lang hatte sie an die rauhe Leidenschaft seines Kusses gedacht, sich nach seiner Umarmung gesehnt. Sie entsann sich seines dringlichen Flüsterns, seines Herzklopfens, das sie gefühlt hatte. Er hatte etwas in ihr geweckt, das ihr neu war, ein überwältigendes Verlangen, und es wollte einfach nicht wieder
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