Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Aufsichtspflicht verletzt«, behauptete sie, obwohl es wahrscheinlich nicht stimmte. Normalerweise sicherten sich Zeitungen gegen falsche Inhalte in Anzeigen ab. Die Verantwortung dafür lag allein beim Inserenten, und das musste dieser auch unterschreiben. Eigentlich musste die Frau das wissen, wenn sie in der Abteilung arbeitete.
Trotzdem zeigten Sunas Worte eine erste Wirkung. In der Miene der Rothaarigen flackerte Unsicherheit auf, und sie begann, nervös auf ihrer Unterlippe zu kauen.
»Stellen Sie sich vor, Sie würden morgen früh die Todesanzeige Ihrer besten Freundin in der Zeitung finden, obwohl sie gar nicht gestorben ist. Wie würden Sie beide sich wohl dann fühlen?«, bearbeitete Suna die Frau weiter. Sie hoffte, dass sie überhaupt eine beste Freundin hatte.
Der Blick der Rothaarigen huschte unruhig hin und her. »Die Anzeige habe ich selbst aufgenommen«, stieß sie schließlich gepresst hervor. »Ein Mann hat sie aufgegeben. Ich weiß noch, dass er sie bar bezahlt hat, und er hat mir sehr leidgetan, weil doch seine Freundin so jung gestorben ist, die Ärmste!«
Suna widerstand nur mit einiger Kraftanstrengung der Versuchung, die Augen zu verdrehen. Offenbar hatte ihr Gegenüber immer noch nicht verstanden, worum es eigentlich ging. »Wissen Sie noch, wie der Mann aussah? War er jung, alt, dick, dünn oder irgendwie besonders?«
Die Rothaarige zuckte die Achseln. »Normal eben. Vielleicht zwanzig oder dreißig oder so.«
»Und die Haarfarbe?«, versuchte Suna es weiter. »War er blond oder dunkelhaarig? Oder hatte er vielleicht eine Glatze?«
»Eine Glatze? Nee, ich glaube nicht. Möglicherweise aber doch.« Die andere runzelte nachdenklich die Stirn, doch plötzlich hellte sich ihr Gesichtsausdruck auf. »Ich weiß noch, dass er eine Baseballkappe aufhatte!«, rief sie triumphierend.
»Eine besondere? Mit einem Logo darauf?«, erkundigte sich Suna interessiert. Das konnte zumindest ein Hinweis sein.
»Ich glaube sie war schwarz«, kam die unbefriedigende Antwort. »Vielleicht auch braun. Oder dunkelblau.«
»Okay.« Suna versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Können Sie mir den Namen des Inserenten geben?«
Geduldig wartete sie ab, während die Rothaarige ihren Computer durchforstete. Sie machte sich nicht viele Hoffnungen, auf diesem Weg weiterzukommen. Wenn der Auftraggeber die Anzeige bar bezahlt hatte, war nicht davon auszugehen, dass er seinen richtigen Namen angegeben hatte. Trotzdem überkam sie ein nervöses Kribbeln, als die Mitarbeiterin der Zeitung wieder von ihrem Monitor aufblickte.
»Hier, ja, jetzt hab ich es«, erklärte sie stolz. »Der Name des Inserenten ist Mark Sennemann.«
*
In Hamburg saß Peter Lobinski schon seit Stunden an seinem Schreibtisch. Obwohl ihn eine innere Stimme davor gewarnt hatte, war er auf das Angebot von Daniel Lemarchant eingegangen und hatte einen Vertrag unterschrieben, Nachforschungen über dessen entführten Bruder Sébastien und den Privatdetektiv Konstantin Gramser anzustellen. Dabei sollte er bis auf Weiteres ausschließlich für ihn arbeiten.
Leider hatte er keine Möglichkeit, an die offiziellen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft in der Schweiz heranzukommen, deshalb musste er sich mit den Informationen begnügen, die ihm sein Auftraggeber überlassen hatte. Hauptsächlich waren das Presseberichte. Die Entführung des Sohnes eines bekannten Bankiers war in der Schweiz eine Sensation gewesen, als sie ein paar Tage nach der Lösegeldübergabe bekannt geworden war.
Wenig begeistert hatte Lobinski festgestellt, dass schätzungsweise achtzig Prozent der Artikel auf Französisch verfasst und damit für ihn unlesbar waren. Er konnte auf Französisch nicht einmal einen Kaffee bestellen, geschweige denn einen Bericht über so einen komplizierten Sachverhalt wie eine Entführung verstehen. Für ihn war es ein Glück, dass der Fall landesweit für Aufsehen gesorgt hatte und deshalb auch in den deutschsprachigen Zeitungen ausführliche Artikel erschienen waren.
Ergänzend hatte er natürlich im Internet recherchiert und eine eigene Mappe zusammengestellt mit den Meldungen, die er über den Fall gefunden hatte. Es war nicht unbedingt so, dass er seinem Auftraggeber misstraute, aber es konnte auch nicht schaden, andere, unabhängige Informationsquellen zurate zu ziehen.
Nachdem er von dem Treuhandfonds erfahren hatte, der beim Tod von Sébastien auf dessen Bruder übergehen sollte, war er kurz auf den Gedanken
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