Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
ihn gefunden«, berichtete sie atemlos. »Ein Bekannter von mir hat mir gerade erzählt, dass im Nachbarhaus seit ein paar Wochen ein junger Mann wohnt, auf den die Beschreibung von Jeremias genau passt. Ich rufe gleich mal die Vermieterin an.«
Sie blätterte kurz in einem kleinen Adressbuch und wählte dann eine Nummer.
»Elsa?«, meldete sie sich kurz darauf. »Moin, hier ist Fenja Sangaard. Schön, dass ich dich gleich erreiche. Ich bin auf der Suche nach einem jungen Mann, der in Westerland eine Ferienwohnung gemietet hat. Sein Name ist Jeremias, den Nachnamen weiß ich leider nicht. Er ist ungefähr zwanzig, hat hellbraune, ein bisschen längere Haare und grüne Augen. Kennst du ihn?«
Sie lauschte auf eine Antwort, bevor sie weitersprach.
»Wirklich? Er wohnt in einer von deinen Wohnungen? Hast du dir den Ausweis zeigen lassen, bevor er eingezogen ist?«
Sie sah Suna an und verdrehte die Augen. »Nein, natürlich ist er ein netter junger Mann. Es ist alles in Ordnung, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Kannst du mir noch sagen, in welcher von deinen Wohnungen er wohnt? Gut, das habe ich. Dann danke ich dir ganz herzlich. Du bist wirklich ein Schatz.«
Nachdem sie sich wortreich verabschiedet hatte, legte Fenja auf und seufzte laut. »Das war Elsa Kampmann«, erklärte sie Suna. »Sie ist schon Mitte achtzig, managt aber die Vermietung ihrer Ferienwohnungen immer noch ganz allein. Und genau wie mich und Carolin hat Marks Bruder sie anscheinend mit seinem Charme eingewickelt.«
»Jetzt wissen wir wenigstens, wo wir ihn finden können«, erwiderte Suna mit einem zufriedenen Grinsen und wies auf den Zettel, auf dem Fenja die Adresse der Wohnung notiert hatte. »Ich schlage vor, wir statten dem Kerl nach Ladenschluss einen kleinen Überraschungsbesuch ab.«
*
Niedergeschlagen saß Daniel Lemarchant in dem kleinen Café in der Fußgängerzone und nippte an seinem Latte macchiato. Seit mehr als drei Stunden war er jetzt in Westerland unterwegs, um eine Spur von dem jungen Mann namens Lukas zu finden, der sein Bruder sein könnte.
Bisher hatte er die gesamte Friedrichstraße und die Strandpromenade abgeklappert, dazu noch einen Teil der Strandstraße. In jedem Laden, Café und Restaurant hatte er den Mitarbeitern das Bild vorgelegt, dass Gramser von diesem Lukas gemacht hatte. Das Ergebnis war jedes Mal dasselbe gewesen: Keiner konnte sich daran erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Es war absolut deprimierend.
Inzwischen war sich Daniel nicht mehr so sicher, ob es überhaupt eine gute Idee gewesen war, selbst nach Sylt zu kommen. Vielleicht wäre es besser, überlegte er, sofort nach Lausanne zurückzukehren und Lobinski die gesamten Nachforschungen zu überlassen. Andererseits behagte ihm der Gedanke, untätig in der Schweiz herumzusitzen, während immer noch eine geringe Chance bestand, dass sein Bruder doch noch gefunden werden konnte, überhaupt nicht.
»Darf’s noch etwas sein?«, erkundigte sich die Bedienung, eine ältere Frau mit dickem grauen Haarknoten höflich.
»Nein danke, nur die Rechnung«, gab Daniel matt zurück.
Nachdem er bezahlt hatte, verließ er das Café, um die restlichen Geschäfte der Strandstraße abzuklappern. Viele Hoffnungen machte er sich nicht. Laut Gramser war die Gruppe, mit der sich Sébastien in Westerland aufgehalten hatte, mit Rucksäcken unterwegs gewesen. Sie hatten im Freien, am Strand oder in den Dünen übernachtet und die Leute angeschnorrt. In die meist teuren Läden und Restaurants waren sie wahrscheinlich höchst selten reingegangen.
Aber vielleicht waren sie dem einen oder anderen Geschäftsmann ja negativ aufgefallen, weil sie seine Kunden angebettelt hatten, dachte Daniel mit einem freudlosen Grinsen. Das war zumindest ein Hoffnungsschimmer.
Er zog seinen Schal ein Stück höher. Für Februar war es zwar nicht außergewöhnlich kalt, aber der Wind, der ihm direkt entgegen blies, wurde immer stärker. Bei einzelnen Böen hatte er sogar Schwierigkeiten, überhaupt vorwärts zu kommen. Außerdem hatte ein leichter, unangenehmer Schneeregen eingesetzt. Er war froh, dass er gleich in den nächsten Laden gehen konnte, an dem ein modernes Designer-Glasschild mit der Aufschrift Fotostudio Kristian Petersen prangte.
Das Geschäft war sehr edel eingerichtet. Im Gegensatz zu den meisten Fotostudios, die er kannte, waren hier die Wände nicht mit unzähligen Bildern von Hochzeitspaaren und Kleinkindern in allen möglichen Posen zugepflastert, sondern es
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