Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
bin ich froh, dass du mir geglaubt hast, dass ich wirklich Marks Stimme gehört habe. Wenn du jetzt auch noch gesagt hättest, dass ich mir das eingebildet habe, wäre ich wahrscheinlich ganz durchgedreht. Es ist ja auch so schon schlimm genug.«
Suna horchte auf. Sie hatte die unterschwellige Andeutung deutlich herausgehört. »Wie meinst du das?«
»Es geht um diese Träume.« Mit beiden Händen fuhr sich Fenja durch die Haare, ehe sie weitersprach. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich andauernd von dem Abend träume, aber nicht genau sagen kann, wie viel davon Erinnerung ist und wie viel Fantasie. Heute Nacht habe ich wieder diesen Traum gehabt, doch diesmal war es anders als sonst. Ich habe wie immer ganz deutlich Marks Gesicht vor mir gesehen, und ich habe auch wieder die Hände um meinen Hals gespürt. Außerdem hatte ich wieder wahnsinnige Angst.«
»Aber?«, hakte Suna nach, als Fenja ins Stocken geriet.
Diese senkte nachdenklich den Blick und zupfte an ihrer Unterlippe. Dann sah sie Suna direkt an. »Ich hatte keine Angst vor Mark. Es hört sich vielleicht merkwürdig an, aber ich hatte Angst um ihn.«
*
Während Fenja im Laden ihre Kunden bediente, sah Suna im Schnelldurchlauf die Aufnahmen der Kamera an, die sie im Baum vor dem Hynsteblom angebracht hatte. Wie erwartet war darauf nichts Auffälliges zu finden.
Kein Wunder, der Stalker ist ja ganz mit dem Aufgeben von Zeitungsanzeigen und mit fingierten Anrufen aus dem Jenseits ausgelastet, dachte Suna grimmig, da bleibt natürlich keine Zeit mehr für Schmierereien an Schaufenstern. Trotzdem war sie ein wenig enttäuscht.
Immer wieder gingen ihr zudem Fenjas Worte durch den Kopf, dass sie im Traum Angst um Mark gehabt hätte. Ganz unlogisch war das nicht, überlegte sie. Fenja hatte sich zwar gegen Mark wehren müssen, aber umbringen wollte sie ihn bestimmt nicht. Und dass man beim Anblick einer Wunde, aus der das Blut sprudelt, panische Angst bekam, war ja nur verständlich.
Trotzdem störte sie etwas an dem Gedanken, sie konnte nur nicht sagen, was es war.
Kopfschüttelnd schob sie ihn beiseite und wandte sich wieder ihrem eigentlichen Auftrag zu. Den fiesen Anrufer vom Vorabend würde Kobo für sie aufspüren, da war sie ganz sicher. In der Zwischenzeit konnte sie ihre Liste vom Eröffnungstag abarbeiten. Das Gespräch mit Jeremias Berger stand noch an. Da weder Fenja noch Carolin wussten, wo er genau wohnte, kam ein Überraschungsbesuch nicht infrage. An der Schutzstation wollte sie nicht ohne Ankündigung auftauchen.
Suna nahm das Telefon des Hynsteblom und wählte Jeremias’ Handynummer, die Fenja ihr gegeben hatte. Als sofort nach dem ersten Klingeln die Mailbox ansprang, legte sie enttäuscht auf. Wahrscheinlich ist er gerade am Arbeiten, dachte sie. Aus dem Internet suchte sie die Telefonnummer der Schutzstation Wattenmeer in Hörnum heraus.
»Schutzstation Wattenmeer, hier ist Biggi, moin moin«, ertönte eine extrem jung und sehr gut gelaunt klingende Stimme aus dem Telefon.
»Moin Biggi, hier ist Suna«, erwiderte die Privatdetektivin im gleichen lockeren Tonfall. »Ich würde gern mit Jeremias sprechen, ist er zufällig in der Nähe?«
»Jeremias?«, fragte Biggi nach einer kurzen Pause verwundert. »Hier gibt es keinen Jeremias.«
Suna hätte beinahe laut aufgeseufzt, als sich ihr leiser Verdacht bestätigte. Sie hielt sich aber zurück. Noch konnte es sich ja um ein simples Missverständnis handeln.
»Doch, doch, Jeremias Berger. Er macht seit ein paar Wochen ein Praktikum bei euch an der Schutzstation«, bohrte sie deshalb noch einmal nach.
Biggi lachte kurz auf. »Nee, ganz bestimmt nicht. Wir haben hier momentan nur einen einzigen Praktikanten, und das ist Lasse. Aber vielleicht probierst du es mal auf Föhr oder Amrum oder bei einer der anderen Schutzstationen.«
»Gute Idee, das mache ich«, behauptete Suna. »Danke trotzdem.«
»Gar nicht für«, gab Biggi so fröhlich zurück, dass Suna fast meinte, ihr breites Grinsen durchs Telefon sehen zu können.
Sofort, nachdem sie die Verbindung getrennt hatte, suchte Suna die Telefonnummer von Marks Pflegeeltern heraus und wählte abermals. Sie ließ es ein paar Mal klingeln und wollte gerade wieder auflegen, als sich eine sehr gehetzt klingende Frauenstimme meldete.
»Hallo?«
»Frau Katridis? Sind Sie das?«, fragte Suna etwas verunsichert. Als die Stimme das bejaht hatte, fuhr sie fort: »Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Hier ist Suna Lürssen. Wir haben gestern
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