Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
beobachtete, schreckte ihn aus seinen Gedanken auf.
»Äh – ja, gern«, gab er geistesabwesend zurück. Er versuchte den Anschein zu erwecken, ganz in seine Sportzeitung vertieft zu sein.
Als er früh am Morgen in Westerland angekommen war, hatte er erfreut festgestellt, dass seinem Zielobjekt gegenüber das kleine Café mit angeschlossener Konditorei lag. Das war wesentlich gemütlicher als eine Observation im parkenden Auto, vor allem zu dieser Jahreszeit.
Er hatte bewusst einen der Tische am Fenster gewählt, bei dem er einen direkten Blick auf die Straße und die gegenüberliegende Häuserreihe hatte. Dann hatte er sich erst einmal mit einem großen Stück Friesentorte und einem heißen Tee gestärkt.
Inzwischen hatte er schon seine dritte Tasse Tee hinter sich, aber etwas Interessantes war bisher noch nicht zu beobachten gewesen.
Sein Zielobjekt war ein modernes, zweistöckiges Bürogebäude aus Stahl und Glas, das ganz in der Nähe der Westerländer Autoverladung lag und überhaupt nicht in die Gegend zu passen schien. Es wirkte einerseits protzig, andererseits aber auch seltsam stillos. Nur ein graviertes Glasschild am Eingang mit der Aufschrift Konstantin Gramser – Private Ermittlungen aller Art wies darauf hin, dass es sich um das Büro eines Kollegen handelte. Eines überaus erfolgreichen Kollegen, dachte Lobinski grimmig – oder eines überaus skrupellosen. Allein das Grundstück, auf dem das Haus stand, war vermutlich mehr wert, als er selbst jemals hätte aufbringen können.
»Hier, bitte, Ihr Tee«, sagte die Bedienung plötzlich neben ihm und stellte ihm eine neue Tasse hin. Dabei lächelte sie ihn freundlich an.
Lobinski murmelte eine Dankesfloskel und drückte der hübschen Blondine wie jedes Mal das abgezählte Kleingeld plus Trinkgeld in die Hand. Bei Observationen hatte er es sich angewöhnt, immer sofort zu bezahlen, falls er schnell aufbrechen musste, um die Zielperson zu verfolgen.
Demonstrativ beschäftigte er sich anschließend wieder mit seiner Zeitung.
Kurz, nachdem er sich in das Café gesetzt hatte, waren innerhalb weniger Minuten drei Männer und eine Frau in das Haus gegangen. Einer davon war Gramser gewesen, den er anhand der Videos auf der Homepage der Detektei sofort erkannt hatte, auch wenn er nicht ganz so geschniegelt ausgesehen hatte wie bei seiner Selbstdarstellung vor der Kamera. Bei den anderen handelte es sich um seine Mitarbeiter, vermutete Lobinski. Die beiden Männer hatten das Gebäude inzwischen schon wieder verlassen und waren wahrscheinlich zu einem Auftrag unterwegs. Die Frau schien als Sekretärin oder Empfangsdame zu arbeiten und befand sich nach wie vor im Haus.
Eine knappe halbe Stunde zuvor hatte Lobinski dann noch ein Paar mittleren Alters ausmachen können, das die Detektei betreten hatte, anscheinend Klienten von Gramser. Sie schienen einiges mit dem Detektiv zu besprechen haben, denn sie hatten das Gebäude bisher noch nicht wieder verlassen.
In dem Moment, als er den ersten Schluck des frisch aufgebrühten Tees trank und sich dabei fast die Zunge verbrannte, öffnete sich die Tür von Gramsers Büro und das Paar kam heraus.
Lobinski richtete sich interessiert auf. Es war nicht zu übersehen, dass sich der Gemütszustand der beiden deutlich verändert hatte. Der Mann stierte regungslos geradeaus, als habe er gerade einen Schock erlitten, während die Frau eine Hand vor den Mund presste. Ihre Augen und ihre Nase waren vom Weinen gerötet.
Einen Augenblick überlegte Lobinski, dann sprang er auf. Im Hinausgehen zog er sich die Jacke an, rief der erstaunten Bedienung einen kurzen Abschiedsgruß zu und verließ das Café. Mit möglichst lässigem Gang folgte er dem Paar, das sich in gemächlichem Tempo auf das Zentrum von Westerland zubewegte. Es ging ihm nicht darum, dass die beiden ihn nicht entdeckten. Die Gefahr war sowieso äußerst gering, da sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Doch er wollte nicht, dass Gramser bemerkte, dass seine Klienten verfolgt wurden, falls er ihnen hinterher sah.
Er folgte dem Paar um zwei Straßenecken. Als keine Möglichkeit des Sichtkontakts mehr zu Gramsers Büro bestand, beschleunigte er seine Schritte.
»Entschuldigen Sie bitte«, rief er den beiden zu, als er sie fast eingeholt hatte.
Während die Frau den Kopf senkte, drehte der Mann sich zu ihm um und sah ihn stirnrunzelnd an.
»Ja?«, fragte er verwirrt.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie einfach so anspreche«, wiederholte
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