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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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versicherte, daß die Dame bestimmt nicht lange bleiben würde. Sie taten so, als sei sie nicht vorhanden. Bei den Mahlzeiten setzte sich nie jemand zu ihr; von den fachlichen Diskussionen blieb sie ausgeschlossen; und abends, wenn die Assistenten nach einem anstrengenden Tag beisammen saßen, redeten, lachten, Musik machten, klopfte nie einer an ihre Tür.
    Silas Prince, der sich durch Samantha täglich an den Fehler erinnert fühlte, den er unbedachterweise begangen hatte, sann auf Rache. Und es kam der Tag, an dem sich die Gelegenheit dazu bot. Er war entschlossen, {207} Samantha Hargrave auf die gleiche hinterhältige Art wieder aus dem Krankenhaus hinauszubefördern, wie sie sich dort eingeschlichen hatte.
    Die Krankenhausregeln schrieben allen weiblichen Angestellten zu jeder Zeit tadelloses Benehmen vor. Tabak und Alkohol waren ihnen ebenso untersagt wie drastische Ausdrucksweise. Die Kleidung mußte stets vorbildlich sein; Fesseln, Handgelenke und Hals hatten bedeckt zu sein. Ungepflegte oder unanständige Kleidung war Grund zu sofortiger Entlassung.
    Dies war der eine Punkt, auf den Silas Prince seine Hoffnung stützte, Samantha abschieben zu können.
    Der andere war, daß jeder Assistent sämtliche Stationen durchlaufen mußte. Mit ihren voluminösen Röcken würde sich aber Dr. Hargrave unmöglich auf den Rettungswagen hinaufschwingen können, ohne entweder zu stürzen oder aber besagte Röcke zu zerreißen. Da sie Hosen nicht tragen durfte – sie galten bei Frauen als ›unanständig‹ –, hoffte Silas Prince, daß Dr. Hargrave nicht imstande sein würde, den Rettungsdienst wie vorgeschrieben zu übernehmen. Die Folge: Fristlose Entlassung ohne jegliches Aufsehen.
    Aber Samantha war entschlossen, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Als sie in der Woche zuvor ihren Namen auf der Liste für den Rettungsdienst gesehen hatte, ahnte sie sofort, was ihr blühte. Unverzüglich war sie zu einem Schneider in der nahegelegenen 50. Straße gegangen und hatte bei ihm ein höchst ungewöhnliches Kostüm bestellt. Um es bezahlen zu können, hatte sie das silberne Stethoskop versetzen müssen, das Dr. Jones ihr zur bestandenen Abschlußprüfung geschenkt hatte. Aber der Schneider, ein netter alter Jude, hatte ihr Geld gar nicht haben wollen. Er betrachte es als eine Ehre, ihr das Kostüm zu schneidern, versicherte er, und außerdem verspreche er sich davon gute Werbung für sein Geschäft. Sie solle nur jedem, der danach frage, sagen, daß sie es bei ihm habe anfertigen lassen, dann könne sie es umsonst haben.
    Eine Woche später hatte Samantha das Kostüm abgeholt. Es war aus marineblauem Serge, kurz genug, um eine gewisse Bewegungsfreiheit zu bieten, und lang genug, um nicht gegen die guten Sitten zu verstoßen. Die Jacke war konventionell auf Taille gearbeitet; das Raffinierte an der Kreation war der Rock, in Wirklichkeit eine bauschig fallende Pluderhose, die nur wie ein Rock aussah. Keiner konnte behaupten, sie wäre nicht tadellos angezogen, und sie konnte mühelos, ohne sich in massigen Unterröcken zu verheddern, auf den Rettungswagen hinauf oder von {208} ihm herunter springen. Um sich nicht mit einem Köfferchen beschweren zu müssen, hatte sie sich Taschen mit Knopfklappen in den Hosenrock einarbeiten lassen, in denen sie ihre Instrumente unterbringen konnte.
    Dies nun war der entscheidende Abend, und Samantha ging unruhig hin und her. Die meisten Assistenten versuchten, wenigstens etwas Schlaf zu bekommen, wenn sie im Rettungseinsatz waren. Man hörte das Bimmeln der Glocke laut und deutlich bis in den zweiten Stock hinauf. Aber Samantha war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Sie wußte, daß alle sie mit Argusaugen beobachten würden. Dr. Prince, der kaum je eine Nacht im Krankenhaus verbrachte, hatte es sich sogar versagt, in sein luxuriöses Schlafzimmer in der Park Avenue heimzukehren, um im Augenblick des Triumphs nur ja zur Stelle zu sein.
    Aber das war nicht der einzige Grund für Samanthas Rastlosigkeit. Sie war auch gespannt darauf, was dieser erste Rettungsdienst bringen würde; ob sie in der Lage sein würde, angemessen zu handeln. Am Nachmittag war sie hinuntergegangen, um sich den Wagen anzusehen und mit dem Fahrer Bekanntschaft zu schließen. Dann war sie in Windeseile in ihr Zimmer hinaufgelaufen und hatte errechnet, wie lange sie gebraucht hatte. Besser vorbereitet konnte man wahrhaftig kaum sein.
    Samantha blieb plötzlich stehen und drehte sich mit einem Ruck um.

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