Sturmjahre
Stone bei seiner Arbeit zugesehen. Ohne Mühe hatte er, nachdem Felicity sich endlich entspannt, die Vagina sich geöffnet hatte, das Kind gedreht und ans Licht der Welt befördert. Nun lag das Neugeborene rot und feucht zwischen Felicitys Beinen.
Seltsamerweise schrie das Kind nicht.
Nachdem Stone die Nabelschnur abgeklemmt und durchtrennt hatte, hob die Hebamme das Kind vom Bett. Gerade, als sie sich abwenden wollte, hörte sie die erstickte Stimme des Arztes. »Oh, mein Gott!«
Sie riß entsetzt die Augen auf, als sie das Blut sah, das hellrot und klar aus dem Schoß der Bewußtlosen strömte.
Stone griff hastig zu seinem Köfferchen und kramte eine Klemme her {27} aus, während er mit der anderen Hand ein Tuch in den blutenden Schoß stopfte. »Es ist der Mutterkuchen, Mrs. Cadwallader. Er liegt falsch.«
»Gott im Himmel!« Unwillkürlich drückte die Hebamme das Kind wie schützend an die Brust. »Dann verblutet sie uns.«
»Nicht, wenn’s nach mir geht.« Neville Stone schob eine Hand in den Geburtskanal und drückte die andere in den Unterleib seiner Patientin, um die Gebärmutter zu massieren.
Der Klang schwerer Schritte auf der Treppe riß Samuel aus dem Strudel seiner wirbelnden Gedanken. Tief verzweifelt stand er auf.
Neville Stone trat in die Stube und blieb vor Samuel stehen. »Wir haben das Menschenmögliche getan.«
Das Kind ist tot, schoß es Samuel durch den Kopf.
»Es tut mir leid, Mr. Hargrave, aber Ihre Frau war nicht zu retten.«
Samuel starrte den Arzt in dumpfem Unverständnis an, während dieser weitersprach. »Der Mutterkuchen befand sich in unnatürlicher Lage und dadurch wurden starke Blutungen ausgelöst. Aber –« Er legte Samuel die Hand auf den Arm – »das Kind konnten wir retten.«
Samuel zwinkerte wie ein langsam Erwachender. »Meine Felicity – ist tot?«
»Sehen Sie es nicht als Unglück, Mr. Hargrave. Der Tod Ihrer Frau war nicht umsonst. Sie haben immer noch das Kind.«
Mit heftiger Bewegung schlug Samuel die Hand des Arztes von seinem Arm und rannte an ihm vorbei die Treppe hinauf. Im Schlafzimmer
fiel er neben Felicitys Bett auf die Knie.
Sie sah aus, als schliefe sie nur, das Gesicht still und unschuldig wie das eines Engels. Dunkel lagen die Wimpern auf den schönen grauen Augen, die sich für immer geschlossen hatten. Das Weiß des Kissens leuchtete wie ein Heiligenschein um das rabenschwarze Haar. Sie sah so friedlich aus und so unglaublich jung.
Samuel stöhnte auf vor Qual und hob hastig die Hand, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Um wieder Fassung zu gewinnen, holte er tief Atem und fühlte sich einen Moment lang wie berauscht. Dann nahm er einen merkwürdigen Geruch im Zimmer wahr, den er nicht identifizieren konnte. Mit gerunzelter Stirn sah er zum Nachttisch und versuchte im dünnen Licht der Öllampe die Gegenstände zu erkennen, die dort lagen. Plötzlich sah er sie ganz klar; eine Flasche mit einer Flüssigkeit und ein Taschentuch.
Mit einem Sprung war er auf den Beinen. Er zitterte am ganzen Leib.
»Es war die einzige Möglichkeit, das Kind zu retten, Mr. Hargrave«, {28} sagte Neville Stone hastig. »Hätten wir nicht das Chloroform gehabt, so hätten beide sterben müssen. Der Trost des Kindes wäre Ihnen versagt geblieben.«
»Sie haben sie getötet!«
»Das habe ich bestimmt nicht getan, Sir. Ihre Frau war nicht zu retten. Und ohne das Betäubungsmittel müßten Sie jetzt auch das Kind zu Grabe tragen.«
Samuels Gesicht verzerrte sich. Röte überflutete sein Gesicht bis zum Haaransatz, und die Venen traten dick aufgeschwollen hervor. Neville Stone erschrak; Samuel Hargrave sah aus, als stünde er kurz vor einem Schlaganfall. Aber dann verblich die Röte, das Zittern hörte auf, Samuel Hargrave schien in sich zusammenzusinken.
»Nein«, sagte er tonlos, »es ist nicht Ihre Schuld, Doktor. Ich allein trage die Schuld am Tod meiner Frau. Sie, Doktor, haben sich nur eines Verstoßes gegen das Gebot des Herrn schuldig gemacht. Sie haben dem Willen Gottes getrotzt. Beide hätten sie sterben sollen. Das hatte
Er
mir als Strafe zugemessen. Das Kind ist die Ausgeburt meiner Sündhaftigkeit. Sie, Doktor, haben einem Kind das Leben gerettet, das kein Recht hat zu leben.«
»Einen Augenblick, Sir!« begann der Arzt heftig, doch die Hebamme brachte ihn mit einer warnenden Geste zum Schweigen.
»Ohne Ihr eigenmächtiges Eingreifen, Doktor, wären meine Sünden getilgt gewesen. So aber wird mich, dank Ihrer Eigenmächtigkeit
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