Sturmjahre
doch nicht um Kinder, Darius. Hier geht es um etwas ganz anderes, das für sie sehr wichtig ist. Ich erinnere mich noch an den Tag vor neun Jahren, als sie zu mir in die Praxis kam, um sich operieren zu lassen. Damals hat sie dir erst hinterher von der Operation erzählt. Seitdem versucht sie, sich ihre Selbständigkeit zu erobern, Darius. Hilary möchte ein wenig Freiheit haben, aber sie will sie sich nicht heimlich stehlen müssen.«
»Ich verstehe das alles nicht. Meinst du, sie möchte sich von mir trennen?«
{356} »Eine Frau kann verheiratet und trotzdem frei sein.«
Darius leuchtete das nicht ein.
»Sprich mit ihr, Darius. Hilary liebt dich nicht weniger, nur weil sie etwas mehr Freiheit möchte. Sprich mit ihr, Darius, und hör ihr zu.«
Er nickte unsicher. »Ich tu’ alles, wenn ich sie nur glücklich machen kann.«
Samantha lächelte. Dann stand sie auf und strich sich glättend über ihren langen Rock. Und ich, dachte sie, weiß, was
ich
jetzt zu tun habe.
3
Als sie eingetreten war, blieb sie einen Moment stehen und wartete, bis sich ihre Augen an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten. Es war ein Drugstore wie jeder andere in der Stadt. Mit Flaschen und Dosen gefüllte Regale, die bis zur Decke reichten, neue Glasvitrinen mit Gesundheitswässerchen und Kölnisch Wasser. Die Erfrischungshalle mit dem Sodasiphon war gleich vorn. Über der Theke, an der mehrere Hocker standen, hing ein großer Spiegel mit Reklameschildern für Coca Cola, Bromo Seltzer und Moxie. Auf der Verkaufstheke weiter hinten stand ein Briefmarkenautomat, daneben ein Kasten, in dem man Filme hinterlegen konnte, die man entwickeln lassen wollte. Einige Kunden sahen sich mit müßigem Interesse im Laden um, und an der Theke nahm eine Frau ein eingewickeltes Päckchen vom Apotheker entgegen.
Samantha wollte sich erst einmal umsehen. Hunderte verschiedener Produkte wurden hier angeboten, die versprachen, alles zu heilen, vom eingewachsenen Zehennagel bis zum Gehirntumor. Auf einer Flasche, die eine Arznei namens Gono enthielt, wurde behauptet, es handle sich hier um ein ›unvergleichliches Mittel gegen alle unnatürlichen Sekrete und gegen jede Art von Entzündung‹, das garantiert Gonorrhöe und Nachtripper heile. Eine Schachtel mit Dr. Roses Schlankheitspulver garantierte Gewichtsabnahme ›innerhalb relativ kurzer Zeit‹. Es gab Haarwuchsmittel und Zahnhärter; Säfte zur ›Vorbeugung gegen Leber-, Nieren- und Darmkrankheiten‹; Salben, die besorgte Eltern ihren Söhnen auf die Genitalien auftragen konnten, um das Onanieren zu verhindern; ein garantiert wirksames Heilmittel gegen die Syphilis; diverse Arten von Scheidentampons, die wundertätige Substanzen zur ›Wiederherstellung der regelmäßigen Zyklustätigkeit, die aufgrund nervöser Ängste oder anderer Ursachen gestört ist‹, enthielten.
Langsam ging Samantha zwischen Regalen und Vitrinen hin und her, sah {357} sich ausgestellte Injektionsspritzen und Klistierspritzen an, die zusammen mit Fläschchen ›beruhigenden Weinopiats‹ verkauft wurden. Auf dem Rückweg zur Kasse, wo der Apotheker gerade einer älteren Frau gute Ratschläge gab, blieb Samantha vor einer kleinen Pyramide aus Flaschen stehen, die zu Reklamezwecken auf der Theke aufgebaut war. Davor lag ein Stapel dünner Broschüren mit der Aufschrift: ›Kostenlose Information zu Sara Fenwicks Wundermixtur. Bitte bedienen Sie sich.‹
Sie nahm eine Flasche und las das Etikett. Die Wundermixtur heilte angeblich nicht nur jede Krankheit und jedes Leiden, die eine Frau befallen konnten, sie wirkte außerdem verjüngend, belebend und kräftigend. Woraus das Wundermittel sich zusammensetzte, wurde nicht erwähnt.
Samantha klappte eine der Broschüren auf. ›Jede Frau kann ihr eigener Arzt sein‹, hieß es da. ›Sie kann sich selbst behandeln, ohne ihre intimen Beschwerden einem anderen zu offenbaren oder sich einer unnötigen Untersuchung durch einen Arzt zu unterwerfen, die ihr weibliches Schamgefühl verletzen würde. Oder möchten Sie einem wildfremden Mann Ihre intimsten Geheimnisse anvertrauen? Mit ihm über Dinge sprechen, die wirklich nur Frauensache sind? Das widerspricht der Natur der Frau; es läßt sich mit ihrem ausgeprägten Gefühl für Anstand und Würde nicht vereinbaren. Jede richtige Frau ist empört bei der Vorstellung, einem Mann, sei er nun Arzt oder nicht, ihre geheimsten Leiden anzuvertrauen. Mrs. Fenwick weiß das; sie ist selbst eine Frau. Wenn Sie Rat brauchen, dann schreiben Sie
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