Sturmjahre
zwei alte Freunde, die ein tiefes Interesse an der Medizin miteinander verband.
Mark war beeindruckt, aber nicht überrascht. »Und was ist das für ein Ding?« fragte er, vor einem großen Metallschrank auf Rädern stehenbleibend.
»Das ist ein Servierwagen. Ich würde gern behaupten, daß er meine Erfindung ist, aber das kann ich nicht. Ich habe sie vom Buffalo General Hospital übernommen. Schau –« sie öffnete die Tür – »die Tabletts liegen auf diesen Schienen übereinander, und unten ist ein kleiner Ofen, damit das Essen warm bleibt. Die Räder sind aus Gummi und machen kaum Lärm.«
»Ihr seid hier hervorragend ausgestattet.«
»Ja, aber es ist auch ein dauernder Kampf. Wenn wir nicht unser Damenkomitee hätten, das sich immer wieder neue Strategien einfallen läßt, um Mittel für uns lockerzumachen, stünden wir längst nicht so gut da.«
Mark sah sich die kleine Säuglingsabteilung an, in der die Kinder versorgt wurden, deren Mütter gestorben waren oder zu krank, um sich um sie zu kümmern. Eine Amme saß mit einem Baby an der Brust in einem Schaukelstuhl.
{377} »Man spürt überall hier deine Hand«, sagte er zu Samantha und sah sie mit einem Ausdruck an, den sie in ihren Phantasien tausendmal vor sich gesehen hatte. Wenn du mich jetzt berührst, dachte sie. Wenn du mich küßt …
Mit Mühe fand sie ihre Stimme. »Hast du vor, eine Praxis aufzumachen, Mark, oder willst du dich ganz der Arbeit an der Universität verschreiben?«
Langsam gingen sie weiter. »Als die Universität von Kalifornien mit der Bitte an mich herantrat, hier an der Medizinischen Fakultät zu unterrichten, sah ich das als eine Gelegenheit, mich intensiver mit der Forschung befassen zu können. Das war schon lange mein Wunsch, weißt du.«
»Und auf welchem Gebiet willst du forschen?«
»Krebs. Du wußtest es, nicht wahr? Und meine Mutter verbot dir, es mir zu sagen.«
Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Ich hoffe, sie hat am Ende nicht gelitten.«
Ein Schatten der Trauer flog über sein Gesicht. »Sie war tot, als ich nach Hause kam.«
»Das tut mir leid«, sagte Samantha leise. Sie wandte sich ab und ging zum Fenster am Ende des Korridors, durch das der eisengraue Februarhimmel hereinschaute. »Ich wollte es dir sagen, weißt du«, fuhr sie fort.
»Aber …«
Seine Hand sucht die ihre. Ihre Finger berührten sich, dann schlossen ihre Hände sich fest ineinander.
»Stellt man dir an der Universität ein Labor für deine Forschungen zur Verfügung?«
»Das geht leider nicht. Im Augenblick bin ich noch auf Suche nach einem geeigneten Raum. Vielleicht kann ich ein Labor mit einem Kollegen teilen. Aber auf dem Gebiet wird leider noch wenig Arbeit geleistet.«
Samantha sah ihn an. Er hatte sich in den dreizehn Jahren kaum verändert. Noch immer trug er das Haar ein wenig lang, auch wenn es inzwischen an den Schläfen grau geworden war. Immer noch war seine Haltung kerzengerade, der Körper elastisch und beweglich.
»Mark«, sagte sie, »wir bekommen vom Staat Mittel für ein pathologisches Labor. Wir werden in Zukunft alle Proben, die bei einer Operation entnommen werden, untersuchen, anstatt sie einfach wegzuwerfen. Das Labor wird im Keller eingerichtet, mit den üblichen Geräten, einem Mikroskop und einem Inkubator. Ich hoffe sogar auf eine Zentrifuge. Unsere Pathologin wird nur stundenweise da unten arbeiten. Wenn du möchtest, Mark, kannst du gern …«
{378} Sie schwieg abwartend.
»Aber nur«, antwortete Mark, »wenn du erlaubst, daß ich die Zentrifuge stifte.«
7
Lilian Rawlins hatte sich verspätet. Das war ganz untypisch für sie. Sie hatte vor einigen Wochen ihre Besuche bei Samantha wiederaufgenommen, da sie noch immer nicht schwanger geworden war. Samantha wollte jetzt bei ihr einen Versuch mit einem Verfahren machen, von dem sie kürzlich in einer Fachzeitschrift gelesen hatte.
Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und ging zum Fenster. Es war ein sonniger Apriltag. Ein warmer Wind blies kräftig, so daß die Leute unten auf der Straße ihre Hüte festhalten mußten. Samantha lächelte. Ihre Gedanken gingen flüchtig zu Jenny und Adam, die ihr am Abend zuvor erzählt hatten, daß sie sich nach einem eigenen Häuschen umschauen wollten. Es tat ihr gut zu sehen, wie glücklich die beiden miteinander waren.
Glücklicher als sie und Mark, der jetzt unten im Labor über das Mikroskop gebeugt saß. Es gab Tage, an denen Samantha ihn überhaupt nicht zu sehen bekam, aber es reichte ihr zu wissen,
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