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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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fünf Jahre tadellosen Verhaltens ohne einen einzigen Fehltag nachweisen konnte, bekam eine Gehaltserhöhung von fünf Pence pro Tag.
    Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die gewissenhaft und im allgemeinen {68} gutgelaunt ihrer Arbeit nachgingen und jeden Penny für den Tag zurücklegten, an dem sie einmal heiraten würden, fühlte sich Matthew Hargrave mit seinen achtzehn Jahren bis zum Ersticken eingeengt. Er kam sich vor wie lebendig begraben.
    Sein Leben zu Hause war so grau und freudlos wie die Tage im Kontor. Sein Bruder James war in Oxford; sein Vater hatte keine Zeit für ihn; seine kleine Schwester war ihm fremd. Freunde hatte er keine, und vor Frauen hatte er Angst. Sein einziges Vergnügen war der kurze Moment der Selbstbefriedigung, die er allabendlich in seinem Bett praktizierte.
    Matthew spürte, daß mit ihm etwas nicht in Ordnung war, und litt schwer unter den inneren Spannungen, die ihn zu zerreißen drohten. Er glaubte, sie seien die Strafe für die Sünde der allabendlichen ›Selbstbeschmutzung‹; er war sich nicht bewußt, daß sie ihren Ursprung in seiner rasenden Eifersucht auf seinen älteren Bruder James hatten.
    Während Matthew von früh bis spät in dem verhaßten Kontor schuftete wie ein Sklave und jeden sauer verdienten Penny seinem Vater übergab, der ihm das nicht einmal mit einem Wort des Lobes dankte, führte James als Student ein flottes Leben. Nachdem er in Oxford sein Grundstudium mit dem Bakkalaureat abgeschlossen und sich an den medizinischen Fakultäten mehrerer Universitäten in und um London beworben hatte, würde er nun wieder zu Hause leben, Matthews ständige, marternde Erinnerung daran, daß er seinem Vater nichts, James ihm hingegen alles galt.
    Im Haus merkte niemand, was sich da zusammenbraute; nur Mrs. Scoggins, die Haushälterin, hatte düstere Ahnungen und machte es sich zur Gewohnheit, abends ihre Zimmertür zu verriegeln.
    Am Abend des Guy-Fawkes-Tages geschah es dann. Überall in London zündeten die jungen Leute zur Feier der Aufdeckung der sogenannten Pulververschwörung im Jahr 1605 riesige Freudenfeuer an.
    Matthew stand am Fenster und schaute zur Straße hinaus. Die Leute waren außer Rand und Band. Lockere Mädchen flogen von einem Arm in den anderen und verschenkten freigebig ihre Küsse, alte und junge Männer tanzten zum wilden Gefiedel einiger Musikanten ausgelassen die Gigue, Feuerwerkskörper krachten wie Gewehrschüsse, Bier- und Schnapskrüge machten die Runde. Wie unter einem Bann ging Matthew zur Haustür und zog sie auf. Die Feuershitze, die ihm entgegenschlug, brachte sein Blut in Wallung. Unwiderstehlich angezogen von dem übermütigen Treiben, stieg er die Treppe hinunter, und als ihm jemand einen Bierkrug in die Hand drückte, trank er herzhaft daraus. {69} Es dauerte nicht lang, da war Matthew, der nie vorher einen Tropfen Alkohol angerührt hatte, völlig betrunken.
    Als Samuel, der wieder einmal in der Gegend um den Haymarket gepredigt und seine Schriften verteilt hatte, nach Hause kam und müde die Treppe zu seiner Haustür hinaufstieg, sah er Samantha mit großen, erschrocken blickenden Augen an der offenen Tür stehen. Er drehte sich um, sein Auge folgte ihrem Blick, und da sah er seinen jüngsten Sohn mitten im grölenden Getümmel in den Armen einer Hure.
    Laut lachend hing Matthew am Hals des Mädchens und trank in vollen Zügen aus einem Bierkrug. Dann zog er sich seinen schwarzen Rock vom Leib, wirbelte ihn ein paarmal über seinem Kopf durch die Luft und schleuderte ihn mitten ins Feuer. Im selben Augenblick gewahrte er seinen Vater. Den Arm über den Kopf erhoben, den Mund lachend geöffnet, erstarrte er, wie gelähmt vom strafenden Blick seines Vaters. Das Lärmen der Menge verklang, die Glut des Feuers erkaltete, der lodernde Schein der Flammen verdunkelte sich. Er fühlte sich wie aufgespießt vom anklagenden Blick dieser verhaßten Augen.
    Plötzlich raste er wie ein Wahnsinniger die Treppe hinauf, schleuderte seinen Vater zur Seite und stürzte in die Wohnstube. Blindwütend riß er die schwere Bibel vom Lesepult und rannte, sie mit beiden Händen haltend, wieder auf die Straße. Er hörte verworrene Geräusche, sah flüchtig ein entsetztes weißes Gesicht, Arme, die ihn festhalten wollten, und wieder die strafenden Augen, deren Blick ihn durchbohrte. Er warf den Kopf zurück und heulte wie ein schmerzgequältes Tier, während die Bibel aus seinen Händen in die Luft flog und ins Feuer fiel.
    Samuel rappelte sich hoch, stieß

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