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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Studierende nicht eingerichtet.‹
    Samantha schleuderte das Schreiben zornig zu Boden und entfaltete mit einem Gefühl der Aussichtslosigkeit das zweite.
    »14. Juni 1879
    Sehr verehrte Miss Hargrave,
    da Ihre Bewerbung um Aufnahme an der Lucerne Medical School einen Präzedenzfall darstellt und unsere Statuten für einen solchen Fall keine Richtlinien geben, haben wir die gesamte Studentenschaft für Ihren Antrag abstimmen lassen. Im folgenden teile ich Ihnen den Ausgang der Abstimmung mit:
    ›Zu den grundlegenden Prinzipien einer republikanischen Regierung gehört die Erziehung und Ausbildung der Angehörigen beider Geschlechter auf allen Gebieten. Die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Ausbildung, gleich, in welchem Bereich, soll jeder Frau und jedem Mann gleichermaßen offenstehen. Daher befürworten wir den Antrag Samantha Hargraves auf Aufnahme an unserer Universität und versichern, daß wir ihr niemals Anlaß geben werden, den Besuch dieser Hochschule zu bedauern.‹
    Ich darf Sie bitten, Miss Hargrave, sich am letzten Montag im September, dem Tag des Semesterbeginns, morgens in meinem Büro zu melden.
    Mit vorzüglicher Hochachtung,
    Henry Jones, M. D., Dekan, Lucerne Medical College.«
    »Hurra!« Samantha sprang aus ihrem Sessel und umarmte Joshua Masefield überschwenglich. »Sie nehmen mich, Dr. Masefield. Sie nehmen mich.«
    Joshua schreckte fast vor ihr zurück, aber Samantha merkte es gar nicht. Sie schwenkte frohlockend den Brief und tanzte im Zimmer herum wie ein glückseliges Kind. Joshua konnte es nicht länger mitansehen und wandte sich ab.

11
    Unter der gestreiften Markise des neuen Grand Central Bahnhofs nahmen sie voneinander Abschied. Förmlich und unpersönlich. Joshua drückte Samantha nur kurz die Hand, dann eilte er zu seiner Droschke. {137} Samantha sah dem Wagen nach, der die 42. Straße hinunterfuhr, bis er verschwunden war.
    Während der Zug sich in Bewegung setzte und langsam aus dem Bahnhof hinausrollte, dachte Samantha daran, wie oft in ihrem Leben sie schon hatte Abschied nehmen müssen; aber keine Trennung, meinte sie, war so schmerzlich gewesen wie diese. Bis zum letzten Moment fast hatte sie geschwankt, war immer wieder versucht gewesen, doch ans Infirmary zu gehen, um in Joshuas Nähe bleiben zu können, aber im Grunde hatte sie immer gewußt, daß sie ihren eigenen Weg gehen mußte. Und sie hatte ja einen Trost: In neun Monaten würde sie zurückkommen.
     
    Die Reise war lang und strapaziös. Lucerne, dreihundert Meilen von New York entfernt, lag an der Nordspitze des Canandaigua Sees. Sie mußte erst in Albany umsteigen, fuhr von dort aus mit dem Zug bis Newark und stieg dann in einen anderen Zug, der sie nach Geneva am Seneca-See brachte. Die letzten sechzehn Meilen mußte sie sich einen Wagen nehmen. Insgesamt brauchte sie zwei Tage und eine Nacht, bis sie endlich am Abend des zweiten Tages ihr Zimmer in Lucernes einzigem Hotel bezog.
    Samantha wußte nichts über diesen Ort, der die nächsten neun Monate ihr Zuhause sein würde, nichts von der provinziellen Engstirnigkeit seiner Bewohner. Sie sah nichts weiter als ein friedliches Städtchen am Ufer eines beschaulichen Sees. Gleich am nächsten Tag wollte sie sich am College einschreiben und danach auf Zimmersuche gehen.
     
    »Wer sind Sie?«
    Etwas bestürzt über die Reaktion des Mannes, wiederholte Samantha ihren Namen.
    Dr. Jones sah sie durch die Gläser seines Zwickers beinahe strafend an. Dann machte er sich mit den Papieren auf seinem Schreibtisch zu schaffen und brummte: »Ah ja. Hargrave. Sie schickten uns Ihre Bewerbung im vergangenen Juni.«
    Samantha rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. Das Verhalten des Dekans beunruhigte sie. »Ich hoffe doch, es ist alles in Ordnung, Dr. Jones. Heute ist doch der richtige Tag? In Ihrem Brief stand –«
    »Ja, ja.« Er wedelte mit der Hand. »Ich weiß, was in meinem Brief stand. Ich bin nur –« Er brach ab und starrte sie mit Eulenaugen an. »Also, ganz offen gesagt, Miss Hargrave, Sie entsprechen überhaupt nicht meinen Vorstellungen. Überhaupt nicht.«
    {138} Sie zog die Brauen hoch. »Wieso? Ist an mir etwas nicht in Ordnung?«
    »Aber nein! Ganz im Gegenteil, Miss Hargrave.« Er wurde so rot wie ein Radieschen. »Ich meine, wir hatten eine ältere Dame erwartet.«
    »Aber Sie nehmen mich doch?«
    Er schüttelte unglücklich den Kopf und zupfte an seinem Schnauzbart. »Natürlich. Da Sie nun schon einmal da sind. Aber das wird einen Wirbel

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