Sturmjahre
gottgewollten Bestimmung, Miss Hargrave. Die Frau soll Kinder gebären, sonst nichts.‹
Obwohl Samantha mit Ablehnung gerechnet hatte, war sie bestürzt über den Ton, in dem die Absagen gehalten waren. Mit jedem Brief, der eintraf, wurde sie zorniger. Und als die Absage der Harvard Universität kam, beschloß sie, sich zur Wehr zu setzen.
»10. Juni 1879
Sehr verehrtes gnädiges Fräulein,
Obwohl ich persönlich Ihre Bewerbung um Aufnahme an unserer Fakultät im Sinne der Vorschriften akzeptabel fand und unsere Statuten keine Klausel enthalten, die Frauen die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen verwehrt, mußte ich mich dem Votum meiner Kollegen beugen und Ihren Antrag der Studentenschaft zur Abstimmung unterbreiten. Das Ergebnis dieser Abstimmung teile ich Ihnen nachstehend mit.
›Es werden folgende Beschlüsse gefaßt:
Keine wahrhaft feinfühlende Frau kann gewillt sein, in Gegenwart von Männern an Diskussionen über solche Themen teilzunehmen, mit denen der Student der Medizin sich notwendigerweise befassen muß.
Wir sind nicht bereit, uns die Gemeinschaft mit einer weiblichen Person aufzwingen zu lassen, die bereit ist, ihr Geschlecht zu verleugnen und weiblichem Schamgefühl zum Trotz Unterrichtsräume mit Männern zu teilen.‹
Studentenschaft und Dozenten waren sich darin einig, Ihren Antrag abzulehnen. Ich wünsche Ihnen aufrichtig Glück bei Ihren Bemühungen an einer anderen Hochschule.«
Der Brief war von Oliver Wendell Holmes, dem Dekan der Medizinischen Fakultät, unterzeichnet.
»Sechzehn Absagen, Dr. Masefield, und einzig, weil ich eine Frau bin. Ich will mir das nicht gefallen lassen.«
»Was wollen Sie tun?«
Sie sah auf den Brief in ihrer Hand. »Ich reise nach Boston.«
{135} Seinem Schreiben nach zu urteilen, schien Oliver Wendell Holmes ihr ein vernünftiger Mensch zu sein. Sie glaubte zuversichtlich daran, daß er seinen Einfluß geltend machen würde, Studenten und Dozenten umzustimmen, wenn sie persönlich ihre Sache vertrat und bewies, daß sie ernstzunehmen war.
Als Joshua sie zwei Tage nach ihrer Abreise mit einer Droschke am Bahnhof abholte, sah er, daß sie keinen Erfolg gehabt hatte. Schweigend fuhren sie nach Hause. Im Salon ließ Samantha sich müde in einen Sessel fallen.
»Erzählen Sie«, sagte Joshua, der am Kamin stand.
Sie lehnte den Kopf zurück und starrte zur Decke hinauf. »Ich habe mit Mr. Holmes gesprochen. Er war sehr freundlich, aber er sagte, er könne sich nicht öffentlicher Kritik und Beschimpfung aussetzen. Nicht nur die Universität wäre gegen meine Aufnahme, sondern auch die Ärztekammer von Massachusetts. Er sagte, sie hätte sich gegen meine Aufnahme ausgesprochen, weil es darum ginge, Würde und Ansehen der Universität zu wahren.«
Joshua zog nur schweigend eine Augenbraue hoch.
»Ich erklärte, daß ich bereit wäre, jede Bedingung anzunehmen, die man mir stellen würde, vorausgesetzt, ich bekäme nach Abschluß des Studiums wie alle anderen mein Diplom. Aber genau da war der Haken. Vier Dozenten wären sogar bereit gewesen, mich zu unterrichten, aber den Doktorgrad wollten sie mir nicht verleihen. Das mindere den Wert des Diploms der Universität Harvard, behaupteten sie.«
Samantha sah Joshua an. »Wissen Sie, was Dr. Holmes noch sagte? In den Augen der Studenten sei die Anwesenheit einer Frau in Seminaren und Vorlesungen widerwärtig.« Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Lieber Gott, widerwärtig!«
Joshua setzte sich zu ihr. »Hat er Ihnen wenigstens einen Rat gegeben?« »Ja.« Sie nahm die Hände vom Gesicht. »Er sagte, daß an der Universität von Michigan jetzt Frauen zum Medizinstudium angenommen werden und daß er mir gern eine Empfehlung schreiben würde.«
»Michigan«, murmelte Joshua. »So weit weg …«
»Ist es wirklich hoffnungslos, Dr. Masefield? Muß ich wirklich kapitulieren? Meine Qualifikationen zählen nicht, wenn sie sehen, daß ich eine Frau bin.«
Er sah sie einen Moment schweigend an, dann stand er auf und ging ohne ein Wort aus dem Zimmer. Samantha kämpfte mit den Tränen. Als er wieder hereinkam, nahm sie, ohne ihn anzusehen, die beiden Schreiben, die er ihr hinhielt.
{136} »Die kamen während Ihrer Abwesenheit. Ich habe mir erlaubt, sie zu öffnen.«
Das eine war von der Universität von Pennsylvania. Man bedauerte, Dr. Masefield mitteilen zu müssen, daß man sich außerstande sehe, die junge Frau, die er so warm empfohlen habe, zum Studium aufzunehmen. ›Wir sind leider auf weibliche
Weitere Kostenlose Bücher