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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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die dem Arzt aufgegeben sind. Hinzu kommt, daß Frauen von Natur aus nicht frei handeln können, sondern vielmehr Gefangene ihrer eigenen Biologie sind; insbesondere des monatlichen Unwohlseins. Es ist, als hätte der Allmächtige bei der Erschaffung der Frau den Uterus genommen und die Frau um ihn herum geschaffen. Das, was sie ist – sowohl was Gesundheit und Charakter, als auch was Geist und Seele angeht –, hängt einzig von ihrer Gebärmutter ab. Welcher Patient würde sein Leben einem Menschen anvertrauen, dessen inneres Gleichgewicht dem eines Wahnsinnigen gleicht? Dessen Stabilität von Woche zu Woche wechselt? Das periodische Leiden der Frau beeinflußt ihren geistigen Zustand, sie macht eine Zeit durch, in der sie vorübergehend wahnsinnig ist; ja, in diesen Zeiten braucht die Frau selbst ärztlichen Beistand und kann keinesfalls anderen solchen geben.
    Angesichts der anerkannten Tatsache, daß die Frau dem Mann unterlegen ist, daß ganz allgemein die Frau den niedrigeren Rang und der Mann den höheren einnimmt, kann man logischerweise annehmen, daß ein von weiblichen Personen überfluteter Berufsstand an Prestige und Ansehen verlieren wird. Braucht unsere Gesellschaft in einer Zeit zu vieler schlechter Klavierspielerinnen und zu weniger guter Köchinnen und Näherinnen auch noch Ärztinnen?‹
    Samantha klappte das Heft zu. Ein ärgerlicher Artikel. Aber die Frauen hatten schon angefangen, sich zu wehren. In Boston gab Lucy Stone eine Zeitschrift heraus, die sich
Woman’s Journal
nannte und sich unter ande {131} rem vehement für die Gleichberechtigung der Frau in der medizinischen Wissenschaft einsetzte.
    ›Die Männer sollten sich nur nicht einbilden, daß sie allein den Schlüssel in Händen halten, der das Tor zur medizinischen Wissenschaft aufschließt. Sie verweigern den Medizinistudentinnen den Zugang zu den Bostoner Krankenhäusern und überhäufen sie mit Spott, den sie nicht verdient haben. Die Männer halten der Welt die konstitutionellen Schwächen der Frau vor Augen, als hätten sie selber keine Schwächen. Aber der Tag wird kommen, an dem Frauen die Männer zwingen werden anzuerkennen, daß sie ihnen ebenbürtig sind und in der Medizin das gleiche zu leisten vermögen wie sie.‹
    Die Worte, die Elizabeth einmal gesagt hatte, fielen Samantha ein. ›Sie haben Angst vor uns, und ich weiß nicht, warum.‹ Bei Joshua Masefield allerdings hatte sie diesen Eindruck nicht; sie vermutete, daß er sie genauso behandelte, wie er den Studenten behandelt hätte, dem er ihretwegen abgesagt hatte. Aber würde das auch noch so sein, wenn sie fertige Ärztin war? Oder würde sich seine Haltung dann vielleicht ändern?
    Samantha war darauf vorbereitet, daß sie auf ihrem beruflichen Weg auf Hindernisse stoßen würde. Aber würde sie sich selbst zusätzliche Steine in den Weg legen, wenn sie an einer Frauenuniversität studierte? Würde man sie als Quacksalberin ansehen, wie Louisa und Luther prophezeiten?
    Die Frage hielt sie die ganze Nacht wach, und in der dunklen, kalten Stunde vor Morgengrauen faßte sie schließlich einen tollkühnen Entschluß. Sie würde versuchen, ihr Studium an einer der anerkannten Männeruniversitäten zu absolvieren. Das bedeutete, daß sie noch weitere neun Monate bei Joshua Masefield arbeiten konnte …
     
    Sie zögerte lange, mit ihm darüber zu sprechen. Ihre größte Angst, daß er versuchen würde, sie zum Studium am Infirmary zu überreden, und sie dann schon in fünf Wochen gehen mußte, lähmte ihr die Zunge. Jedesmal, wenn sie einen Anlauf nahm, versagte ihr einfach die Stimme.
    Eines Nachts Anfang Dezember, als sie noch einmal nach Estelle gesehen hatte, die friedlich schlief, traf sie ihn im Vorsaal, als er gerade von einem Hausbesuch bei einem kranken Kind zurückkam.
    »Oh, Miss Hargrave«, sagte er, während er den schneebedeckten Hut und den Schal abnahm.
    »Ich wollte mir gerade etwas heiße Milch machen«, sagte sie. »Wie geht es dem Kind?«
    Er hängte seinen Mantel auf und rieb sich die kalten Hände. »Die Kleine {132} hat Scharlach. Da ist nichts mehr zu machen.« Er ging ins dunkle Arbeitszimmer.
    Samantha hörte, wie er ein Streichholz anriß, und sah den Lichtschein, der die Türöffnung erhellte.
    »Miss Hargrave«, rief er. »Kommen Sie ans Feuer.«
    Er stand vor dem Kamin und legte frische Scheite auf. »Teuflisch, diese Kälte. Kommen Sie, hier ist es angenehm.«
    Sie trat zu ihm und stellte ihre Kerze auf den Kaminsims.
    »Wieso schlafen

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