Sturmkaempfer
werden. Wenn nun einer der Grafen oder Lordprotektoren bei den Leuten vom Wagenzug nachfragt? Nicht einmal Carel würde sich etwas dabei denken, ihnen zu erzählen, dass ich in der Silbernacht geboren wurde.
16
Ich bin zu alt für so etwas. Warum bin ich nicht längst in den Ruhestand gegangen?« General Chate Dev sah über die leeren Weiten der Tempelebene, und als er sicher war, dass niemand in Sicht war, ging er über den trockenen, festgetretenen Boden auf das hoch aufragende Bauwerk in der Mitte zu. Er hatte sein ganzes Leben lang in Thotel gelebt, aber trotzdem beeindruckten ihn die riesigen Säulen des Sonnentempels, die aus einer einzelnen Steinpyramide geschlagen waren, noch immer.
»Weil du dich dann zu Tode langweilen würdest, Chate!«, klang eine tiefe Stimme kichernd aus dem Tempel.
Der alternde Chetse ging zur nächsten der vier gewaltigen Säulen und Lord Chalat trat dahinter hervor. Die Grundfläche bildete ein Steinblock von drei Metern Höhe und die Säule selbst verjüngte sich zum Zentrum des pyramidenförmigen Tempels, neben dem sogar Lord Chalat winzig erschien. Das Weißauge wirkte in seiner Nähe beinahe eingeschüchtert.
Trotz der Dunkelheit konnte General Dev dank des Lichtes der ewigen Flamme den Anflug eines Lächelns erkennen. Hier gab es also keine Trauer – das überraschte den General nicht. Es war allgemein bekannt, dass Lord Chalat den Krann nur gerade so geduldet hatte. Darum hatten ihn die Neuigkeiten über Charrs tödliche Verwundung nicht über die Maßen verdrossen.
Chalat trug einen einfachen Kriegerkilt, der bis zu seinen Waden reichte. Sein Oberkörper war in dünnes weißes Leinen gehüllt und seine massigen Arme waren nackt bis auf einige Kupferbänder mit eingelegtem Lapislazuli. Die Narben auf beiden Armen wiesen ihn als jemanden aus, der die fünf Prüfungen des Agostefeldes bestanden hatte – auch wenn niemand daran gezweifelt hätte. Tsatach hätte niemals einen Lord erwählt, der als Kind unzureichend gewesen wäre. Auf seinen Rücken geschnallt trug Chalat das alte Schwert Golaeth. Ein großer Rubin an seinem Hals glomm im schwachen Licht.
»Mein Lord«, murmelte der General, als er Chalat erreichte, und sank vor seinen Füßen auf ein Knie. Dabei war er sich der offenen Fläche hinter sich sehr wohl bewusst. Kein Chetse mochte die Dunkelheit sonderlich, und durch die unverrückbare Macht des Tempels vor sich fühlte er sich noch unwohler.
Ein flacher Graben, weniger als einen halben Meter tief, wies die Grenze des gesegneten Grundes aus. Alles darin wurde von der ewigen Flamme beleuchtet. Der Rest dieses gespenstischen, uralten Ortes lag im Dunkeln versteckt, als befände sich dort eine Steinwand und kein Graben.
»Erhebe dich, Chate. Also, warum – bei Tsatach – rufst du mich mitten in der Nacht hierher? Im Tageslicht mag es prächtig aussehen, aber jetzt ist es ein Albtraum.«
Der General stimmte murmelnd zu und erhob sich. Die vielen Tempel der Ebene boten nachts einen beunruhigenden Anblick. Nach Einbruch der Nacht breitete sich hier eine schreckliche Trauer aus. Die Nartis und Alterr geweihten Tempel lagen auf den felsigen Klippen am Nordende, sodass sogar die Priester, die nächtliche Rituale abhielten, des Nachts nicht über die Ebene laufen mussten.
Der General hatte diesen Ort bewusst ausgesucht. »Das ist er in der Tat, mein Lord. Ich dachte, es ist besser, wenn wir keine
neugierige Menge hier haben, die wild darauf ist, Gerüchte zu verbreiten. Vielleicht kann uns die ewige Flamme helfen, die Tatsachen zu verstehen.«
»Die ewige Flamme? Wen verdächtigst du der Lüge?«
»Den Zeugen, mein Lord.« Er sah sich um und sprach dann weiter. »Meine Männer holen ihn gerade. Ich dachte, du solltest – bevor er ankommt – die Tatsachen kennen, oder zumindest das, was wir darüber wissen.«
Chalat gab einen verärgerten Laut von sich, dann ging er um die Säule herum ins Innere hinein. Die beiden setzten sich auf die breiten, in den Fels geschlagenen Stufen.
»Also wurde Charr gar nicht im Kampf verletzt?«, fragte Chalat.
»In gewisser Weise doch. Aber die Geschichte dieser Wache ist … nun, ungewöhnlich.«
»Ungewöhnlich?«
»Sie befanden sich in den Jagdgründen des schwarzen Palastes – das ist nun beinahe zwei Monate her – als einer der Späher Leute sah, die sich ihnen näherten, ein halbes Dutzend Fremde aus dem Norden.«
»Nun, natürlich waren es Fremde – kein Chetse würde die Jagdgesetze brechen.«
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