Sturmkönige 01 - Dschinnland
Talisman, nichts sonst. In Wahrheit spielt es überhaupt keine Rolle, wie viel Zeit vergangen ist. Ein paar Minuten oder ein paar Stunden… Wären Dschinne in der Nähe, hätten wir längst ihre Bekanntschaft gemacht.«
Sie hatte kaum ausgeredet, als sich Junis’ Zorn gegen sie richtete. »Glaubst du wirklich«, fauchte er, »dass du mehr über das Dschinnland weißt als unser Vater? «
Tarik pflichtete ihm bei. »Jamal hat nicht so lange hier draußen überlebt, weil er sich auf einen Glücksbringer verlassen hat.«
Sie hob resignierend die Hände und presste die Lippen aufeinander. Senkte den Kopf in einer Geste, die beinahe demütig wirkte. Womöglich hatte sie nicht damit gerechnet, mit einem Mal beide Brüder gegen sich zu haben.
Erst als sie schon eine ganze Weile schweigend gen Westen flogen, begriff Tarik, was sie wirklich getan hatte. Nichts anderes, als ihnen beiden etwas zu geben, das sie für einen Moment auf dieselbe Seite bringen sollte.
Als er über die Schulter zu ihr zurückblickte, erwartete er, sie lächeln zu sehen. Doch im Halbschatten ihres wehenden Haars entdeckte er Tränen in ihren weißgrauen Augen. Sie wich ihm aus, legte die Wange an sein Schulterblatt und sprach lange Zeit kein Wort mehr.
Sklaven der Dschinne
Sie stießen tatsächlich auf Dschinne, aber erst im Morgengrauen. Junis war es, der sie kurz vor Sonnenaufgang entdeckte.
»Wurde auch Zeit«, murmelte Tarik.
Junis deutete auf eine Handvoll dunkler Punkte, die ihnen von Osten her folgten, ein gutes Stück über dem Boden. Sie zeichneten sich als formlose Silhouetten vor der roten Morgendämmerung ab, viel zu weit entfernt, um Einzelheiten auszumachen.
»Wie viele zählst du?«, rief Tarik zu seinem Bruder hinüber.
»Sechs, glaube ich.«
»Dann sind das nicht alle.«
Sabatea schnappte nach Luft. »Nicht alle?«
»Das muss eine Vorhut sein. Kundschafter, wenn wir Glück haben – normalerweise fliegen sie weit vor dem eigentlichen Schwarm. Dann hätten wir eine Chance, dem Rest zu entkommen, falls wir mit denen da fertig werden.«
»Was sollten sie hier auskundschaften?«, fragte Sabatea. »Das hier ist ihr Land. Sie haben jeden Stein umgedreht, um die letzten Menschen auszurotten.«
Tarik zuckte die Achseln. »Deshalb ist eine Vorhut auch wahrscheinlicher.«
»Und das bedeutet?«
»Ärger«, mischte Junis sich ein, der jetzt wieder ganz nah neben ihnen flog. Tarik war nicht sicher, was seinem Bruder mehr missfiel: dass seine Warnung sich bewahrheitet hatte oder die Tatsache, dass Sabatea die Arme um Tarik gelegt hatte, um sich an ihm festzuhalten. »Wenn es eine Vorhut ist«, fuhr Junis fort, »dann folgt ein größerer Tross unmittelbar hinter ihnen. Wahrscheinlich unten am Boden, darum können wir sie noch nicht sehen.«
Tarik unterdrückte ein anerkennendes Lächeln. Junis hatte ihrem Vater gut zugehört. Als sie Kinder gewesen waren, hatte Jamal oft von den Dschinnen gesprochen, nicht um seine Söhne zu erschrecken, sondern um sie vorzubereiten. Auf einen Tag wie diesen.
»Warum am Boden?«, fragte Sabatea.
»Weil sie möglicherweise etwas dabeihaben, das nicht fliegen kann«, entgegnete Tarik. »Dschinne sind nicht immer allein unterwegs. Oft treiben sie andere Kreaturen vor sich her, die ihnen die Arbeit abnehmen sollen.«
Er spürte, dass Sabatea schauderte. »Immerhin macht sie das langsamer als uns, schätze ich.«
»Sicherheitshalber sollten wir sie uns trotzdem aus der Nähe ansehen.«
»Was?«
»Manche Dienerwesen der Dschinne sind auch schneller als sie – sobald sie erst von ihren Ketten gelassen werden. Und damit auch schneller als wir. Besser, wir wissen, mit was wir es zu tun haben, bevor wir die nächste Rast einlegen.«
Sabateas Kopf ruckte zu Junis herum. »Jetzt weiß ich, was du gemeint hast. Er hat wirklich den Verstand verloren!«
»Natürlich hat er das«, pflichtete Junis ihr bei. »Nur hat er in diesem Fall Recht.«
»Ich fliege zurück und sehe zu, was ich herausfinden kann«, sagte Tarik. »Falls du doch noch in Erwägung ziehen könntest, zu Junis hinüberzuwechseln – «
»Ich gehe«, unterbrach ihn sein Bruder.
Tarik schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich.«
Sabatea seufzte. »Wird uns dieser Irrsinn schneller nach Bagdad bringen?«
»Nicht schneller, aber möglicherweise wird er uns nach Bagdad bringen. Wenn wir uns nicht vergewissern, mit was wir es zu tun haben, kommen wir vielleicht nie dort an. Irgendwann unterwegs werden wir schlafen müssen. Und das
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