Sturmkönige 01 - Dschinnland
schmallippigen Mund; sobald sie ihn öffneten, dehnte sich ihr Kinn abwärts bis zur Brust und entblößte daumenlange, kreuz und quer verschränkte Hauer.
Die Schädel der Dschinne waren ovaler als die von Menschen, nahezu konisch. Viele waren kahlköpfig, aber es gab auch einige, die langes Haar hatten, das aus einem faustgroßen Fleck an ihrem Hinterkopf spross. Tatsächlich waren dies die Haare ihrer Opfer, die sie als armdicke Bündel mit groben Stichen in ihre Kopfhaut einnähten. Die meisten umwickelten sie mit dünnen Streifen aus Menschenhaut, trugen sie als Pferdeschwanz oder zusammengezurrten Zopf.
Dschinne besaßen keine Beine, weil sie keine Verwendung dafür hatten. Ohne Hüftknochen liefen ihre Oberkörper nach unten hin zu einem fleischigen Zapfen aus wie ein schlecht verheilter Armstumpf.
Das farbige Flammenmuster ihrer Haut hatte man zu Anfang des Krieges für Bemalungen gehalten. Tatsächlich aber handelte es sich wohl um die Spuren der Wilden Magie, aus der sie geboren worden waren. In den ersten Jahren ihrer Invasion aus dem Herzen der Wüste, als Zauberei in Khorasan noch nicht verpönt und unter Todesstrafe gestellt worden war, hatten sich Magier Mäntel herstellen lassen, die aus den farbigen Ornamenten der Dschinnhaut genäht wurden – schon damals teure Kostbarkeiten, die heute, ein halbes Jahrhundert später, unbezahlbar geworden waren.
Ihre langen Finger hatten Nägel wie Menschen, meist zu Krallen gewachsen. Als einzige natürliche Waffe neben ihren Fangzähnen hatten sich ihre Klauen kaum bewährt, darum trugen sie oft erbeutete Lanzen und Schwerter oder auch selbst gefertigte Bewaffnung aus Knochen, Holz oder Stein. Nach all den Jahren hatten sie leidlich gelernt, damit umzugehen, obgleich die meisten noch immer viel zu ungestüm kämpften.
Tarik schwebte niedrig hinter einer Dünenkuppe, während die sechs Dschinne weiter nördlich an ihm vorüberzogen. Ihre geschlitzten Pupillen, schmaler als die eines Reptils, waren nach Westen gerichtet. Kein Blick verirrte sich in Tariks Richtung. Aber er würde nicht ewig unbemerkt bleiben, falls ihnen ein größerer Heerzug folgte. Erst ganz allmählich stieg er wieder höher und hoffte, dass keiner der sechs über die Schulter nach hinten schaute.
Angespannt blickte er nach Osten. Die Sonne stand zu zwei Dritteln über den Dünen, der Horizont verschwamm in einem Meer aus wässrigen Luftspiegelungen.
Inmitten des Flimmerns verdichteten sich weitere Punkte, zu viele, um sie mit einem flüchtigen Blick zu zählen. Dreißig, vielleicht vierzig oder mehr. Sie bewegten sich langsamer als ihre Vorhut, schwebten aber höher über dem Boden. Entgegen seiner Befürchtungen führten sie keine ihrer Dienerkreaturen mit sich. Und doch trugen sie etwas, das sie aufhielt und den Heerzug weit behäbiger machte als die sechs Dschinnkrieger an seiner Spitze.
Tarik sank wieder tiefer, konnte sich aber nicht vollständig verstecken, ohne die Dschinne aus den Augen zu verlieren. Je länger er hinsah, desto deutlicher erkannte er, was die Wesen transportierten.
Ganze Rudel von ihnen schleppten gemeinsam tropfenförmige Netze, jedes so groß wie ein Haus, aus deren Maschen Arme und Beine ragten. Insgesamt gab es drei dieser Netze, prall gefüllt mit Menschen. Zusammengeschnürt zu Pulks, die von den Dschinnen über die Dünen getragen wurden. Leichen, glaubte Tarik im ersten Moment, bis er erkannte, dass sich die stacheligen Oberflächen der Netzsilhouetten bewegten: Arme und Beine wurden ausgestreckt und angewinkelt, wedelten und winkten, während ihre eingezurrten Besitzer gegen die Enge, die Hitze und den Tod durch Zerquetschen ankämpften. Ein Stöhnen und Wehklagen schob sich mit den Dschinnen über die Dünen, ein an- und abschwellender Jammerchor aus Dutzenden Kehlen.
Was ihn verblüffte, war nicht die Grausamkeit dieses Transports, schon gar nicht die Gleichgültigkeit der Dschinne, die in stoischem Flug ihren Menschenfang durch die Wüste schleppten. Überraschend war vielmehr, dass die Dschinne überhaupt Gefangene nahmen. Sollten sie als Nahrung dienen? Aber warum waren sie dann noch am Leben? Dschinne ernährten sich von Aas ebenso wie von frisch geschlagener Beute, sie schienen weder dem einen noch dem anderen den Vorzug zu geben. Menschenopfer, womöglich? Nicht sehr wahrscheinlich, zumal ungewiss war, ob die Dschinne tatsächlich Götzen oder andere Mächte verehrten.
Sklaven, dachte er schließlich. Weder sein Vater noch er selbst hatten
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