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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erneut hinter dem glühenden Horizont zu versinken.
    Die Kakteen der Dornenkrone bedeckten einen breiten Felsbuckel, der sich seicht aus der Wüste wölbte. Kein schroffes Labyrinth wie so viele der Formationen, die sie vorher passiert hatten, sondern eine sanfte, runde Kuppe, in deren Mitte ein kleiner See lag. Ein uralter Vulkankegel, den der Wüstenwind in Äonen glatt geschliffen hatte.
    Tarik hatte oft hier gerastet, damals, vor Maryam, und jedes Mal war ihm die Oase wie ein Juwel inmitten der unwirtlichen Einöde erschienen. Die Karawanen der Seidenstraße hatten hier schon vor Jahrhunderten gelagert, ihre Wasservorräte aufgefüllt und sich im Schatten des Kaktuswaldes von der unbarmherzigen Wüstenhitze abgekühlt. Er selbst war zum letzten Mal vor fast sieben Jahren hier gewesen.
    Sie flogen jetzt langsamer. Das Hitzeflimmern gab die verwachsene Masse der Kakteen frei, zog sich mitsamt des Horizonts zurück wie eine Brandung, die bei Ebbe vom Ufersand abfließt. Im Näherkommen atmete Tarik auf. Die Pflanzen schienen unversehrt. Hier hatte kein Feuer gewütet, nichts ließ auf das Wüten der Dschinne schließen.
    Der Kaktuswall zwischen Wüste und Gewässer war an die zweihundert Meter breit und zog sich über den gesamten Hang. Die Grenze zwischen Sand und Kakteen war wie mit einem Zirkel gezogen. Staub bedeckte die Pflanzen. Aber nicht einmal die gefürchteten Stürme der Karakum hatten gegen die Entschlossenheit ankommen können, mit der sich die Kakteen an den Felsboden klammerten. Weit stärker als bei anderen Oasen vermittelte dieser Ort den Eindruck einer Belagerung durch die Wüste: Sie konnte den stacheligen Hain nicht durchdringen, erstickte aber auch jeden Versuch eines Ausfalls, jeden noch so winzigen Ableger, unter Sand und Sonnenglut.
    Tarik gab Junis ein Handzeichen, damit er seinen Teppich in der Luft zum Stehen brachte. Sie waren keinen Steinwurf mehr von den vorderen Pflanzen entfernt, schwebten nur wenige Meter über dem Boden und ließen ihre Blicke über den Wall aus Kakteen wandern.
    »Früher gab es für die Karawanen einen Weg ins Innere«, sagte Tarik. »Aber er muss schon vor langer Zeit zugewuchert sein.«
    Sabatea kniff die Augen zusammen, um im gleißenden Wüstenlicht Genaueres zu erkennen. »Die sehen alle aus, als stünden sie schon seit einer Ewigkeit hier. Nicht so, als würde hier noch irgendetwas leben.«
    Junis nickte. Er machte keinen Hehl aus seiner Beunruhigung beim Anblick dieses Ortes.
    Tarik wusste, was sie meinten. Nichts bewegte sich. Es gab keine Palmen, deren Blätter im Wind wehten. Nicht einmal Sträucher. Nur reglose Kakteen mit hochgereckten Armen wie Soldaten nach einem verlorenen Gefecht. Er blieb achtsam, doch er verspürte auch Erleichterung. Zumindest von hier aus erschien alles unverändert. In einem Land wie diesem war das eine Menge wert.
    Sabatea blieb skeptisch. »Dazwischen könnte sich alles Mögliche verstecken.«
    »Sie stehen zu dicht, und ihre Stacheln sind länger als deine Finger«, gab Tarik kopfschüttelnd zurück. »Dschinne empfinden Schmerzen wie du und ich.«
    »Ich hab auch nicht an Dschinne gedacht.«
    Er nickte und gab ihnen einen Wink. »Sehen wir uns das Ganze von oben an.«
    Er flog voraus und gewann dabei an Höhe, bis er fünf Mannslängen über den höchsten Kakteen schwebte. Junis holte auf und blieb neben ihm. Alle drei sahen nach unten, auf die verschlungenen, weit verzweigten Arme der Kaktuspflanzen, bedeckt von Sand und Staub, die sie nur noch mehr wie versteinerte Krieger auf einem uralten Schlachtfeld erscheinen ließen. Die Gewächse erweckten den unheimlichen Eindruck, dass sie es nicht dulden würden, wenn man ihnen mit Axt oder Schwert zu Leibe rückte. Selbst von hier oben aus waren ihre langen, leicht gebogenen Stacheln zu erkennen. Die ersten Reisenden, die eine Schneise in dieses Gewirr geschlagen hatten, hatten zweifellos mit ihrem Blut für diesen Frevel bezahlt.
    Vor ihnen tauchte die ovale Lichtung auf. Sie wurde vollständig von einem klaren Gewässer eingenommen. Der See sah nicht vergiftet aus wie der Amu Darja; auch nicht so abschreckend falsch wie der spiegelnde Tümpel in der ersten Oase, die Tarik überflogen hatte.
    Im Näherkommen änderte sich nichts an diesem Eindruck. Von oben aus konnten sie bis auf den seichten Grund hinabsehen. Lichtreflexe bewegten sich über die Felsen, aber nichts, das lebendig erschien.
    »Lasst uns einmal um den ganzen See fliegen«, schlug Junis vor und schwenkte ab.

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